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Archiv-Artikel

Fragezeichen live

Señor Coconut, der Latin-König der Coverversion, hat einen Sack abgehangener Evergreens im Gepäck

Die Conga zählt ein, Maracas und Marimba gesellen sich dazu, und man könnte meinen, das alles wäre der Auftakt für einen alten kubanischen Son-Klassiker. Doch weit gefehlt: Die nächsten Takte sorgen für Klarheit – wer hat denn da „Smoke On The Water“ in die prächtige kubanische Guayabera gewandet?

Es gibt nur einen, der sich so feinfühlig an dem Liedgut vergreift, das allzu gern als Evergreen katagorisiert wird: Señor Coconut. Ob „Riders On The Storm“, „Beat It“ oder, früher, „Showroom Dummies“ – der Señor vom anderen Ende der Welt verwandelt die Hits manch vergangener Dekade in tanzbare, amüsante und liebevoll arrangierte Perlen für die Latexhüften erprobter und weniger erprobter Latintänzer.

Dabei ist Señor Coconut nicht etwa irgendein verrückter Latino, der die abgelegte Plattenkiste eines deutschen Kumpels geklaut hat, sondern Uwe Schmidt alias Atom Heart (und zahllose weitere Inkarnationen). Langeweile hat ihn von Frankfurt am Main nach Santiago de Chile getrieben. Inspiriert durch die Musik seiner neuen Heimat kam er auf die Idee, alte Kraftwerk-Nummern einer Salsa-Kapelle vorzuspielen, damit diese sich an Neuinterpretationen versucht. Aus dieser Broma, dem Spaß, wurde Ernst: Schmidt setzte sich an den Rechner und programmierte Kraftwerk auf Latino.

Herausgekommen ist dabei eine ironische Hommage an das Düsseldorfer Elektro-Urgestein, die vor drei Jahren unter dem süffisanten Titel El Baile alemán erschien. Letztlich hat Señor Coconut den musikalischen Ansatz von Kraftwerk in deren musikalischen Gegensatz verwandelt – doch genau das haute hin, das Album kam bei Presse wie Publikum an, enorm gut sogar.

Señor Schmidt musste sich Gedanken machen, ob und wie er seinen sehr persönlichen Spaß auf die Bühne bringen könnte. Er musste eine Band zusammenstellen, die seinen Soundsalat live spielen sollte. Die hat Schmidt alias Señor Coconut in einem venezuelanischen Sänger und sechs dänischen Studiomusikern gefunden – eine Besetzung, die ähnlich ungewöhnlich ist wie der Sound des kreativen Señors, der auch seine Plattencover selbst gestaltet. Doch mit der Band im Rücken änderte sich an der Arbeitsweise namens Coconut nichts. Die Stücke entstehen nach wie vor am Rechner in Santiago de Chile, und die Coconut-Truppe muss dann ihren Part für die Tour einstudieren.

Ob Kraftwerk-Klassiker wie „Tour de France“ oder „Electrolatino“: Schmidt hält alle Stränge seines eigenwilligen Projekts fest in den eigenen Händen. Was dabei herauskommt, ist für den deutschen Programmierer „ein absurdes Fragezeichen“. Eines allerdings, das in die Beine geht. Und nicht zuletzt auf die Bühnenshow der Reißbrett-Band um Mastermind Uwe Schmidt alias Señor Coconut darf man gespannt sein. KNUT HENKEL

Do, 21 Uhr, Fabrik