: Prionen sind keine Exzentriker
Das gleiche Prinzip, das bei Kühen zum Rinderwahn führt, verbessert bei Seeschnecken das Langzeitgedächtnis
In ihrer Struktur veränderte Eiweiße können nicht nur unheilbare, tödlich verlaufende Krankheiten auslösen, für einige Tierarten sind sie sogar nützlich. Bekanntestes Beispiel dieser Proteingruppe sind die Prionen, die in ihrer deformierten Form beim Menschen die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und bei Kühen den Rinderwahnsinn BSE verursachen. US-Forscher konnten nun erstmals nachweisen, dass es auch bei der Seeschnecke, Aplysia californica, ein Eiweiß gibt, dass sich ähnlich verhält wie ein Prion. Die deformierte Form des Seeschneckeneiweißes CPEB führt jedoch nicht zu einer Schädigung des Tiers, sondern – ganz im Gegenteil – es verbessert die Gedächtnisleistung.
Die BSE auslösenden Prionen sind relativ kleine Eiweiße. Sie lagern sich von der löslichen, normalen Form in eine unlösliche, krank machende Gestalt um, in dem sie ihre Faltung ändern. Dabei können sie anderen Prionen ihre verzerrte Form aufzwingen. Dieser Vorgang pflanzt sich wie eine Kettenreaktion fort und zerstört die Nervenzellen. Gegen Ende der Krankheit gleicht das Gehirngewebe einem durchlöchertem Schwamm.
Susan Lindquist, vom Whitehead Institut in Boston, im US-Bundesstaat Massachusetts, und der Nobelpreisträger Eric R. Kandel, von der Columbia Universität in New York, konnten mit ihren Studien nachweisen, dass sich auch das Schneckenprotein CPEB von einer löslichen Form in eine unlösliche Form verwandeln kann. Und es animiert ebenfalls andere Eiweiße, es ihm gleichzutun.
Das ist insofern erstaunlich, weil CPEB in den Synapsen des Gastropoden sitzt und die Synthese weiterer Proteine steuert. Diese entstandenen Eiweiße sind wiederum für die Bildung neuer Synapsen verantwortlich und spielen so eine wichtige Rolle für das Langzeitgedächtnis der Seeschnecke.
Die Forscher vermischten CPEB mit anderen Proteinen und untersuchten in ihrer Studie, wie sich diese Eiweiße anhand eines Hefemodells verhielten. Ergebnis: Das falsch gefaltete Protein brachte auch die anderen Eiweißmoleküle dazu, in die geänderte Struktur überzugehen.
Als erstaunlich erwies sich aber, dass CPEB weiterhin seine Aufgaben erfüllte, in unlöslicher Gestalt sogar noch effektiver arbeitete. „Das zeigt, dass es sich bei den Prionen nicht nur um Exzentriker der Natur handelt, sondern dass sie auch an fundamentalen Prozessen beteiligt sind“, bestätigt die Wissenschaftlerin Susan Lindquist ihre Ergebnisse.
Die verblüffende Konsequenz dieser Studie: Bei der Umwandlung der CPEB-Moleküle könnte es sich um jenen Mechanismus handeln, der es Synapsen und Nervenzellen erlaubt, Langzeiterinnerungen zu speichern, ohne dass eine permanente Aktivierung verschiedener Prozesse nötig ist.
Ob sich diese Studie allerdings auch auf den Menschen übertragen lässt, scheint fraglich: Der Physiologe Kandel schränkt ein, es fehle noch der Nachweis, dass sich diese Prozesse auch im menschlichen Hirn so abspielten wie bei der Seeschnecke: „Wir müssen noch zeigen, dass dieser Prionenmechanismus nicht nur in Hefe funktioniert, sondern auch in neuronalen Zellen.“
In der Tat: So besaßen die CPEB-Moleküle an ihrem einen Ende einen ungewöhnlich hohen Anteil der Aminosäuren L-Asparagin und L-Glutamin (48 Prozent). Bei dem entsprechendem Molekül des Menschen beträgt dieser Anteil nur etwa 18 Prozent. Da die beiden Aminosäuren mit großer Wahrscheinlichkeit für das Aggregationsverhalten des Eiweißes verantwortlich sind, gehen die Forscher davon aus, dass sich das menschliche Protein ganz anders verhält.
JOACHIM EIDING