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Archiv-Artikel

„Stehen bleiben und appellieren reicht nicht“

Für Pedram Shayar von Attac Berlin ist die Zeit nicht reif für Wahlalternativen. Er setzt auf radikalere Aktionsformen

taz: Sind Volksbegehren und Wahlalternativen eine Perspektive für die außerparlamentarische Linke?

Pedram Shayar: Generell schon. Aber zurzeit sind wichtige Voraussetzungen nicht gegeben.

Welche denn?

Zum einen haben die Initiatoren nicht das breite Spektrum der sozialen Bewegungen erreicht. Zum anderen hat die Linke ihre Erfahrungen mit Rot-Grün nicht ausreichend aufgearbeitet. Es gibt noch immer keine ausreichende Antwort auf die Frage, wie eine Wahlalternative dem Anpassungsdruck des Parlamentarismus standhalten soll.

Aber auch bei Attac Berlin gibt es Fürsprecher eines Volksbegehrens.

Einzelne Leute gibt es. Das Projekt löst bei uns aber zurzeit wahrlich keine Begeisterungswellen aus.

Und unter welchen Voraussetzungen würden Sie eine solche Initiative unterstützen?

Ralph Nader gelang es vor vier Jahren in den USA mit seiner Kandidatur, den Protest von Seattle 1999 hinter sich zu stellen. Immerhin stimmten fünf Millionen Menschen für ihn, und zehntausende waren in die Kampagne involviert. Parlamentarische Kampagnen können für soziale Bewegungen ein Sammelbecken sein. Sie müssen aber in ihrem Kern starke integrative Fähigkeiten besitzen. Das sehe ich hier nicht.

Am 3. April ist eine halbe Million Menschen den Aufrufen von Gewerkschaften und Attac gefolgt, um gegen die Agenda 2010 zu protestieren. Zahlenmäßig ist diese Demo nur schwer zu toppen. Wenn es die Wahlalternative nicht ist – was können dann die nächsten Schritte sein?

Mit dem 3. April haben wir zahlenmäßig tatsächlich eine neue Dimension erreicht. Wir sollten uns nun die Zeit gönnen, zu überlegen, was nicht so gut gelaufen ist.

Sie meinen die Dominanz der Gewerkschaften.

Dass nach dem 3. April alle nur noch von der großen „Gewerkschaftsdemo“ sprachen, fand ich schon sehr ärgerlich. Und dass die Gewerkschaftsspitze uns bei der Vorbereitung nicht auf gleicher Augenhöhe begegnet ist, hat uns viel Schlagkraft gekostet. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich an der Haltung der Gewerkschaften etwas ändern wird.

Wie sehen für Attac konkrete Perspektiven aus?

Wir müssen noch breitere Bündnisse schaffen. Vor allem auf lokaler Ebene, von der radikalen Linken bis hin zu Gewerkschaften und Kirchen.

Das soll funktionieren?

Wir können die Protestbewegung bis weit in die Mitte der Gesellschaft tragen, weil die sozialen Verhältnisse immer brutaler werden. Vor allem müssen wir unterschiedliche politische Kulturen in unserem Protest tolerie-ren und die Pluralität als Stärke ansehen. Und es ist an der Zeit, über eine Radikalisierung der Aktionsformen nachzudenken. Demos und Petitionen sind zwar schön und gut, bei so gravierenden Einschnitten im Sozialsystem können wir aber nicht einfach stehen bleiben und appellieren. Wir müssen zivilen Ungehorsam leisten und uns unsere sozialen Rechte aneignen.

Was heißt das genau?

Wenn beispielsweise die BVG das Sozialticket abschaffen will, ist das ein tiefer Eingriff in das allgemeine Recht auf Mobilität. Mit gemeinsamen Schwarzfahraktionen können wir uns zum Beispiel unser Recht wieder aneignen.

Aber stoßen solche Aktionen attac- und gewerkschaftsweit auf Zustimmung?

Bei Attac gibt es einen weitgehenden Konsens über solche Aktionsformen. Bei den Gewerkschaften wird man das sehen. Aber auch bei ihnen finden sich immer mehr Leute, die mit schärferen Aktionen sympathisieren. INTERVIEW: FELIX LEE