: Schattenmann mit Melone
In Schweden sind Krimis von Bo Balderson Kassenschlager. Jetzt bringt ein deutscher Verlag die Krimis des geheimnisvollen Schriftstellers heraus, von dem nur bekannt ist: Er schreibt unter Pseudonym und kennt sich bestens im politischen Milieu aus
von SUSANNE HAGEMANN
Über eine Million Bo-Balderson-Krimis haben Schwedens Buchhandlungen im Laufe der vergangenen Jahre verkauft: Eine erstaunliche Zahl in einem Land, das keine neun Millionen Einwohner zählt. Und diese Zahl hat zu einer stattlichen Fangemeinde geführt, die nur eine drängende Frage zusammenschweißt: Wer ist Bo Balderson? Wer ist der Mann, von dem es im Internet nur eine Zeichnung gibt, die ihn von hinten mit einer Melone auf dem Kopf zeigt? Wer ist der Erfinder dieser bizarren Kriminalgeschichten, in denen ein unfähiger, aber übereifriger Staatsminister ermittelt – immer bereit, das Falsche zu tun, immer am falschen Ort zur falschen Zeit –, der aber dennoch Erfolg hat: die Parodie auf einen Politiker.
Bis auf seinen schwedischen Literaturagenten (der weisungsbefohlen und die Verkaufszahlen im Blick schweigt wie ein Grab) weiß niemand, wer sich hinter dem Schattenriss mit Melone verbirgt. Viele Personen des öffentlichen Lebens wurden bereits der heimlichen Autorschaft verdächtigt – neben etlichen lebenden Krimischriftstellern auch Prominente, die längst gestorben sind: etwa Astrid Lindgren. Oder Ebbe Carlsson, der bei der Aufklärung des Mordes an Olof Palme zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte und wegen seiner mehr als unkonventionellen Aufklärungsarbeit festgenommen wurde. Heiß gehandelt wird auch ein nach Irland ausgewanderter Theologe, der in seinem Exil Auszahlungen des Verlages angenommen haben soll.
Der wahre Bo Balderson aber hält sich bedeckt. Ganze zwei Interviews gab er in seinem Leben – natürlich ohne dabei seine Identität zu lüften. In dem Interview, das er vor drei Jahren der Krimikollegin Liza Marklund gab, outete er sich immerhin als Hundebesitzer „in den besten Jahren“. Ansonsten jedoch gab er dabei lediglich Launiges von sich.
Auch in dem dritten Interview, das ich kürzlich per Fax mit Balderson habe führen können, wird der „Hundebesitzer“ nicht wesentlich präziser. Als ich ihn nach seinem im Internet verbreiteten Konterfei frage, antwortet er, dass er sich gut gefalle als Schattenmann mit Melone, weil so seine Persönlichkeit und sein Äußeres verborgen bleiben würden: Schließlich sei er mit beidem nicht sonderlich zufrieden. Außerdem könne er, selbst wenn er wolle, nicht in Erscheinung treten. Er habe zwar auf Sigmund Freuds Couch gelegen und dabei sich selbst dabei gefunden: „Aber schon auf der Treppe nach draußen hatte ich es wieder vergessen.“
So oder ähnlich witzelt sich Balderson um seine Identität, die inzwischen auch deutsche Leser vor Rätsel stellt: Der kleine Verlag Stegemann aus dem Münsterland hat jetzt zwei der Balderson-Krimis in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Und zwei Großverlage haben bereits Interesse an den Taschenbuchrechten angemeldet. Verleger Norbert Stegemann freut sich: „Entweder, die haben sich nicht getraut oder einfach geschlafen“, meint er mit Blick auf die Verlagsriesen, die in kleineren Verlagen in der Regel ihre bewährten Bestsellerautoren wegschnappen.
Das Erfolgsrezept Baldersons ist es vor allem, komischer und satirischer zu sein als ein anderer, noch berühmterer schwedischer Kollege: Nichts in seinen Krimis erinnert an die subtilen, oft grausigen Mordgeschichten von Henning Mankell. Man kann bei Balderson fast schon von Krimikomödien sprechen. Im „Fall des Staatsministers“ beispielsweise diskutiert eine Delegation aufgebrachter Wirtschaftsleiterinnen mit dem Justizminister über die Sicherheit auf Schwedens Straßen. Als der Minister auf der Suche nach „vermutlich erlogenen, auf jeden Fall aber frisierten, statistischen Angaben, die die Argumente der Frauen widerlegen, ihren Protest zum Verstummen und ihre Befürchtungen zerstreuen sollten“, seinen Schrank öffnet, stoßen der verblüffte Minister und sein hysterisch kreischendes Publikum auf die Leiche eines ermordeten Staatssekretärs.
Das Mitleid hält sich in Grenzen, denn der Verblichene war von zweifelhaftem Charakter – wie eigentlich alle seine (sozialdemokratischen) Politikerkollegen. Als aber aus dem Schrank des Ministers aber das Blut einer zweiten Leiche tropft, tun die Sozialdemokraten alles, um die Unschuld des beim Wahlvolk beliebten Justizministers zu beweisen.
Balderson nutzt jede Gelegenheit, um seine Spitzen gegen machtbesessene Politiker zu platzieren. Er schreibt Gesellschaftssatiren, die auch jenseits schwedischer Staatsgrenzen funktionieren. Im Interview mit Liza Marklund bedauerte er, in der Regel nur recht allgemeine Witze über Politiker machen zu können, da tagespolitische Details beim Erscheinen seiner Bücher oft nicht mehr aktuell seien. Doch eines ist klar: Balderson kennt sich gut aus im politischen Milieu – insbesondere dem der Siebzigerjahre, in denen seine Romane angesiedelt sind.
Wohl deshalb glauben die meisten, dass Balderson ein Politiker oder Expolitiker ist, eine Art schwedischer Horst Ehmke. Sein deutscher Verleger dagegen hat noch eine andere Theorie. Er vermutet, es handele sich um einen Ghostwriter. Denn Politiker seien meist keine Sprachgenies.
Auf die Frage, woher ihm die Details des politischen Ränkespiels so vertraut seien, antwortet Balderson nur: Diese Kenntnis basiere auf „eigener Erfahrung“. Natürlich fragt man sich, ob der Spuk um den anonymen Autor nur eine Strategie ist, um seine Bücher besser zu vermarkten? Oder ob Balderson meint, seine Literatur werde so besser? Nein, antwortet der Autor diplomatisch: besser wohl nicht, aber frecher und lustiger. Denn: „Die Anonymität bietet immerhin einen wunderbaren Schutz gegen wütende Angehörige und Freunde (und Feinde!), die man schamlos der Allgemeinheit preisgegeben hat, um damit auch noch Geld zu verdienen.“
Baldersons schlimmster Albtraum ist natürlich, „dass meine Anonymität gelüftet wird“. Aber ließe sich so ein Albtraum denn nicht auch bestens literarisch verarbeiten? „Ja“, antwortet Balderson da. „Wenn der Tag gekommen ist, hindert mich ja nichts mehr daran, meine Memoiren zu schreiben. Vielleicht passiert es ja, wenn mir der Nobelpreis verliehen wird. Am Anfang der Zeremonie trage ich eine Maske, aber wenn ich aus der Hand des Königs den Preis in Empfang genommen habe, reiße ich mir die Maske vom Gesicht, und alles murmelt: „Aber der hat doch schon einen Nobelpreis!“
Vielleicht aber ist ja doch alles anders und Ebbe Carlsson ist tatsächlich Bo Balderson. Oder Astrid Lindgren. Oder irgendein völlig unbekannter schwedischer Biedermann.
Im Verlag Stegemann sind bislang zwei Balderson-Krimis erschienen: „Der Mord in Harpsund“ (232 S.) und „Der Fall des Staatsministers“ (287 S.), 14,95 bzw. 16,95 €