: Treffen der Giganten
Mit dem Besuch des indischen Regierungschefs in China werden erste Schritte einer Annäherung vereinbart
DELHI taz ■ „Poesie, Partnerschaft und ein klein bisschen Pakistan.“ Dies seien, so sagte der indische Außenminister Yashwant Sinha, die Themen der Gespräche zwischen A.B. Vajpayee und Wen Jiaobao gewesen. Die Premierminister Indiens und Chinas waren sich durchaus bewusst, dass es bei einem Treffen zwischen den Vertretern eines Drittels der Menschheit um mehr ging als Gedichte. Bei dem Besuch Vajpayees in China, dem ersten eines indischen Premiers in zehn Jahren, wurden eine Reihe von Verträgen unterzeichnet.
Dennoch stand Poesie an erster Stelle. Nicht, weil Vajpayee ein verhinderter Dichter ist, sondern weil beide Politiker wussten, dass es im immer noch frostigen Klima zunächst darum ging, mit Atmosphärischem das Eis zu brechen. Beide Länder haben eine gemeinsame Grenze von beinahe 3.000 Kilometern. Dennoch ist es ihnen in den vierzig Jahren seit ihrem Grenzkrieg nicht gelungen, sich darüber zu verständigen. Zwei indische Bundesstaaten erscheinen auf chinesischen Landkarten noch als Teil der „Autonomen Region Tibet“, und Indien gewährt dem „Spalter“ Dalai Lama seit 44 Jahren Gastrecht. Als Indien 1998 Atomwaffen testete, begründete es dies mit der chinesischen Bedrohung.
Die beidseitigen Anstrengungen zur Klimaverbesserung der letzten Jahre haben nun erste Erfolge gebracht. Die Premierminister unterzeichneten am zweiten Besuchstag eine „Deklaration über eine umfassende Zusammenarbeit“, die eine „qualitativ neue Beziehung“ zwischen beiden Ländern einläuten soll. „Die gemeinsamen Interessen“, heißt es darin, „sind stärker als die Verschiedenheiten“, und beide Länder „stellen füreinander keine Bedrohung dar“.
Die Grenzgespräche, die sich schon vierzehn Jahre hinziehen, sollen durch die Bestellung von zwei hochrangigen Vertretern auf eine politische Ebene gehoben werden. Mit der Öffnung des Nathu-La-Passes „im Staat Sikkim“ anerkennt Peking implizit, dass der kleine Bundesstaat ein Teil Indiens ist. Und Indien unterstrich seine langjährige Haltung, dass Tibet ein Teil Chinas ist. Was Pakistan, einen engen Verbündeten Chinas, anbelangt, so ließ sich Peking zur Formulierung herbei, Terrorismus „in jeder Form“ zu verurteilen, was Indien so interpretiert, dass auch Islamabads Unterstützung des Kaschmir-Terrors darunter fällt.
BERNARD IMHASLY