: Mein Freund, der Baum, rockt
Chuck Leavell ist nicht nur Keyboarder der Rolling Stones, sondern Amerikas berühmtester Baum-Fetischist. Jetzt soll er das Image des deutschen Waldes und seiner Besitzer aufpeppen
VON PHILIPP MAUSSHARDT
Da steht er nun ein wenig verlegen, den Spaten in der Hand, zwischen einem halben Dutzend Waldarbeitern, den Oberförstern und zwei amerikanischen Fans, die, der Herr weiß woher, erfahren haben, dass an diesem kalten Maimorgen im Hunsrück eine Weißtanne gepflanzt werden soll. Chuck Leavell, seit 1982 Bandmitglied der Rolling Stones, weiß nicht so recht: Soll er erst die Autogrammkarten unterschreiben und dann das Bäumchen in den Waldboden einsetzen oder umgekehrt. „Erst das Bäumchen“, sagt Michael Prinz zu Salm-Salm, und also wird es gemacht.
Chuck packt den Erdballen und wirft den „Baum des Jahres 2004“ geschickt in das vorbereitete Erdloch. Der Fotograf der Rhein-Hunsrück-Zeitung macht noch ein Bild, dann entschwinden Chuck und der deutsche Prinz und fahren weiter hinein in den dunklen Soonwald. An der Einmündung eines Waldwegs wartet schon Freiherr Tonio von Salis-Soglio. Wieder soll Chuck Leavell ein Bäumchen pflanzen, diesmal eine junge Kastanie. „Chestnut“, übersetzt der Waldbesitzer freundlich, und Chuck gießt die Wurzel an.
Chuck, der Profi. Der Keyboarder der Stones macht so was schließlich jeden Tag bei sich zu Hause. Leavell ist Amerikas bekanntester Waldbesitzer. Sein Grundstück im Bundesstaat Georgia misst 800 Hektar. Das schaffen hierzulande meist nur die Vons und die Zus.
Wenn Chuck Leavell von sich erzählt, läuft das immer in der Reihenfolge: meine Familie, meine Bäume, meine Stones. Es ist schon so, dass es Mick Jagger auf den langen gemeinsamen Tourneen ein wenig auf die Nerven geht. „Chuck spricht ständig von Bäumen“, sagt Jagger, „aber okay, er versteht ja auch etwas davon.“ Auf der „Voodoo-Tournee“ der Stones 1996 muss es besonders schlimm gewesen sein.
So ausführlich und so oft muss Chuck Leavell seine geliebten Bäume und den Wald erwähnt haben, dass es bis zu des Prinzen Ohren drang. Michael zu Salm-Salm, heute Präsident der „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzer“, wurde bei einem Konzert der Stones in Mannheim in die heilige Hotelhalle der Rock-Könige vorgelassen. Seither sind Chuck und er Freunde. Ein Klavier ist im Grunde auch nichts anderes als ein Stück Holz. „Ohne Bäume gäbe es jedenfalls keine Musikinstrumente und ohne Musikinstrumente keine Rolling Stones“, sagt Chuck Leavell.
Dieses Mal ist er allein nach Deutschland gekommen, und er darf, ja er soll sogar so viel über den Wald und die Bäume reden, wie er will. Schließlich ist er eine Woche lang Gast der deutschen Waldbesitzer, die in dem Pianisten aus Georgia einen Werbeträger gefunden haben, von dem PR-Agenturen sonst nur träumen können. „Herr Leavell, was haben Sie heute im Wald gesehen“, fragt ein Journalist am Abend des zweiten Waldrundgangs, und Chuck antwortet: „Vieles ist wie bei uns, und vieles ist anders.“
Chuck Leavell hat vor kurzem ein Buch geschrieben über den amerikanischen Wald. Es trägt den Titel „Forever Green“ und ist eine Liebeserklärung an die Forstwirtschaft. Im deutschen Untertitel des Buches, das die deutschen Waldbesitzerverbände im Dezember diesen Jahres herausbringen wollen, wird stehen: „Ein Leben zwischen Rolling Stones und Wald“.
Denn wann immer es ihm die tourneefreie Zeit erlaubt, geht Chuck mit oder ohne Motorsäge hinaus in seinen Kiefernwald und arbeitet. 1999 wurde er zum „Forstwirt des Jahres“ in den USA gewählt. Auf seiner Farm hat er ein Wald-Klassenzimmer für Schüler eingerichtet, er finanziert Stipendien für junge Forstwirte, und bei Politikern in Washington wirbt Leavell ununterbrochen für die Verwendung von Holz. „Manchmal spreche ich auch zu meinen Bäumen“, erzählte er jetzt den deutschen Waldbesitzern. Bevor er sie fälle, bedanke er sich bei ihnen „dafür, dass es sie gibt und dafür, was sie uns geben: Schatten, Holz zum Bauen, Holz für die Bücher, eben alles, was wir durch sie haben“. Solche emotionale Ausbrüche sind dem deutschen Waldbesitzer eher fremd.
Ihn plagen andere Sorgen: Der Rohstoff Holz wird in Deutschland viel zu wenig nachgefragt, die Preise sind im Keller, und zu allem Übel plant die Bundesregierung auch noch eine Gesetzesnovelle, die die Familienbetriebe in ihrer Arbeit noch stärker behindert. Die kleinen Forstbetriebe haben Existenzängste, denn unter den rund 800.000 Mitgliedern des Verbandes besitzen viele nur wenige Hektar Wald. Ihn zu pflegen kostet oft mehr als der Ertrag den Besitzern einbringt.
„Ich kann einfach nicht begreifen“, sagt Michael Prinz zu Salm-Salm, „dass dieser wunderbare Rohstoff hierzulande nicht mehr genutzt wird.“ Dass in Deutschland Zellstoff importiert wird, ist ihm dabei ebenso ein volkswirtschaftliches Rätsel wie der Umstand, dass Holzhäuser noch immer der Ruch von feuergefährlich oder instabil umweht. Nur 60 Prozent des jährlich nachwachsenden Holzes werde hierzulande verbraucht, und gebe es nicht die französischen Winzer, die ihren Wein in deutschen Eichenfässern lagern – die Lage der Forstwirte wäre noch katastrophaler, als sie sowieso schon ist.
Ein traurig Lied, ein schaurig Lied. Im Schloss des Freiherrn von Salis-Soligio in Gemünden (Rheinland-Pfalz) steht ein etwas verstimmtes Klavier, und nachdem Chuck Leavell zwischen Bäumchenpflanzen und Pressekonferenz von der Hausherrin noch einen selbst gemachten Zwiebelkuchen verdrückt hat, greift er in die Tasten und spielt einen Rock ’n’ Roll. Irgendwann, sagt Chuck, werde er seine Rock ’n’ Roll-Schuhe an den Nagel hängen. An den Nagel an einer Kiefer in seinem Wald.