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Archiv-Artikel

Alte Gräben reißen wieder auf

Innerhalb der EU werden alte Fragen neu gestellt. Ein Streitpunkt ist das Erreichen qualifizierter Mehrheiten

BRÜSSEL taz ■ Vier Wochen vor dem entscheidenden Gipfeltreffen scheinen die Chancen für eine EU-Verfassung kleiner denn je. So möchte die britische Regierung den Stellenwert der Grundrechte-Charta durch eine Zusatzerklärung einschränken. London ist außerdem strikt dagegen, in Fragen grenzüberschreitender Kriminalität sowie bei der Außen- und Verteidigungspolitik zur qualifizierten Mehrheit überzugehen.

EU-Kommissar Vitorino, der als Vertreter der Kommission die Debatte beobachtet, skizzierte gestern einen möglichen Kompromiss: Danach sollen diese für einige Nationalstaaten heiklen Bereiche dann in die qualifizierte Mehrheit übergehen, wenn sich zunächst alle Staaten einstimmig dafür ausgesprochen haben. Sollten einige Staaten im Bereich Verteidigung einen engeren Zusammenschluss anstreben, können sie sich ebenfalls mit einmaligem einstimmigem Beschluss die qualifizierte Mehrheit genehmigen.

Eine ähnlich verzwickte Lösung, die sicher nicht zur Transparenz der neuen Verfassung beitragen wird, ist die so genannte Notbremse. Sie soll skeptischen Ländern wie Großbritannien den Weg in die qualifizierte Mehrheit erleichtern. Sollte ein Land der Meinung sein, dass ein Kommissionsvorschlag sein nationales Rechtssystem unterminiert, kann es im Fachministerrat die Notbremse ziehen und die Abstimmung verhindern.

Als Beispiel für eine solche Entscheidung nannte Vitorino die soziale Absicherung von Wanderarbeitern. Die Frage wird dann dem Europäischen Rat vorgetragen. Erst wenn er grünes Licht gibt, kann der Fachministerrat mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Damit würde die jetzige Praxis, unlösbar scheinende Knoten auf Regierungsebene zu durchschlagen, zum Verfassungsrang erhoben.

In 42 Politikbereichen soll nach dem jüngsten Kompromissvorschlag der irischen Präsidentschaft das Vetoprinzip aufgegeben werden. Ob dadurch EU-Politik in Zukunft beweglicher wird, hängt, wie der irische Außenminister gestern betonte, ganz entscheidend von der Formel ab, die am Ende für die qualifizierte Mehrheit gefunden wird. Strittig bleiben außerdem die Zusammensetzung der Kommission, die Organisation der Ratspräsidentschaft und das Budgetrecht des Europaparlaments. Hier wird zur Besänftigung der reichen Mitgliedsstaaten über einen Rabatt für Nettozahler nachgedacht.

Der SPD-Europaabgeordnete Klaus Hänsch, der das EU-Parlament im Präsidium des Verfassungskonvents vertreten hatte, meldete gestern Zweifel an, dass der Brüsseler EU-Gipfel Mitte Juni bereits ein Ergebnis erbringen werde. Für kommenden Montag hat die irische Präsidentschaft eine Sondersitzung der Außenminister anberaumt.

DANIELA WEINGÄRTNER