: Die Justizministerin will kein Weltpolizist sein
Seit einem Jahr gilt das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, aber es wird faktisch nicht angewandt. So gibt es keinen Ärger
BERLIN taz ■ Alle Welt schaut auf Belgien, dessen Kriegsverbrechergesetz auf Druck der USA bald zum zweiten Mal entschärft werden soll. Dabei hat Deutschland seit einem Jahr ein ganz ähnliches Gesetz, das Völkerstrafgesetzbuch. Der Grund für die fehlenden Proteste liegt auf der Hand: Das Gesetz wird faktisch nicht angewandt.
Heute vor einem Jahr beschloss der Bundestag einstimmig das Völkerstrafgesetzbuch. Als Ergänzung zum Internationalen Strafgerichtshof sollen auch deutsche Strafgerichte zuständig sein für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen – und zwar unabhängig davon, wo die Tat geschah und welche Staatsangehörigkeit Täter oder Opfer haben. „Das deutsche Gesetz ist noch schärfer als das belgische“, betont der Berliner Strafrechtler Florian Jeßberger von der Humboldt-Universität, „es ist das schärfste weltweit.“ Anders als in Belgien ist keine Strafanzeige erforderlich, vielmehr müsste Generalbundesanwalt Kay Nehm, wenn ihm Taten bekannt werden, von sich aus Ermittlungen aufnehmen. Bisher ist nichts dergleichen passiert. In zwölf Monaten hat Nehm kein einziges Ermittlungsverfahren nach diesem Gesetz eingeleitet. Das wurde jetzt bei einer Berliner Tagung bekannt, die das Deutsche Institut für Menschenrechte und amnesty international organisierten.
Auch die von Skeptikern befürchtete Anzeigenflut hat es nicht gegeben. Ganze zwanzig Strafanzeigen sind bei der Bundesanwaltschaft in den letzten 12 Monaten eingegangen. Beobachter gehen davon aus, dass sich einige davon gegen Israels Regierungschef Ariel Scharon richten, der jedoch aufgrund seines Amtes Immunität genießt. In anderen Fällen fehlte der erforderliche „Inlandsbezug“, erläuterte Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) bei der Berliner Tagung. Das Völkerstrafgesetzbuch hat hier zwar die früher verlangten Anforderungen abgesenkt, erforderlich ist aber immer noch, dass sich der Täter zumindest zeitweise in Deutschland aufhält oder ein Aufenthalt „zu erwarten ist“.
Zypries zeigte sich keineswegs unglücklich über das bisherige Leerlaufen des Gesetzes. Deutschland solle nicht „als Weltpolizist die Verfolgung sämlicher Völkerstraftaten, die irgendwo begangen worden sind, übernehmen“. Es genüge die präventive Wirkung des Gesetzes: Deutschland scheide als „Schlupfloch“ und „Rückzugsraum“ für die Urheber von Völkerstraftaten aus. Nehm wird verstanden haben und an seiner vorsichtigen Linie festhalten.
Bei Völkermord hat die deutsche Justiz freilich schon lange weltweite Zuständigkeit. Deshalb konnte das Bundeskriminalamt seit 1993 bereits 133 Ermittlungsverfahren durchführen, davon 90 Prozent zu Taten in Bosnien-Herzegowina. „Viele Zeugen vermischen leider häufig Selbsterlebtes und bloß Gehörtes“, sagte Claudia Ilgner vom BKA. Die meisten Ermittlungen mussten daher eingestellt werden. CHRISTIAN RATH
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