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Archiv-Artikel

20 Quadratmeter Vegesack

Drei Söhne der Gadaevas kämpften für die tschetschenischen Rebellen. Deshalb musste die Familie nach Deutschland fliehen. Sie glauben, dass der Staat sie daran hindern möchte, auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Die Innenbehörde bestreitet das

taz ■ Die Gadaevas fühlen sich allein gelassen. Sie können nicht arbeiten, und sie dürfen ihren Wohnort ohne Sondererlaubnis nicht verlassen. Deshalb sitzen sie in der Sofaecke ihres kleinen Zimmers in einem Vegesacker Asylbewerberheim und warten darauf, dass andere entscheiden, was mit ihnen passiert. Mit drei erwachsenen Kindern – zwei Söhnen (25 und 19) und einer Tochter (23) – leben Sazita und Ibragim Gadaeva auf kaum 20 Quadratmetern. Ein weiterer Sohn wohnt in Nordrhein-Westfalen, der vierte Sohn der Familie ist im Krieg umgekommen. Er liegt in Grosny begraben.

Im Kleiderschrank bewahrt Ibragim Gadaeva die Papiere auf, die ein wenig davon erzählen, was die Familie durchgemacht hat, bevor sie vor einem Jahr aus Tschetschenien fliehen musste. Zwischen Pullovern und Hemden liegt eine amtliche Übersetzung der Todesurkunde des verstorbenen Sohnes – aus Angst vor Rache an der Familie haben sie ihn unter falschem Namen begraben. Ibragim Gadaeva hat Dokumente, die belegen, dass drei seiner Söhne für die tschetschenischen Rebellen gekämpft haben, und ärztliche Gutachten, in denen steht, dass vier Familienmitglieder durch den Krieg krank geworden seien: Sie leiden an körperlichen Gebrechen, schweren psychischen Krankheiten, Depressionen, Schlafstörungen und Halluzinationen.

Die Gadaevas müssten dringend in eine größere Wohnung umziehen, sagen die deutschen Ärzte, doch bislang hat sich nichts getan. Ibragim Gadaeva versteht das alles nicht. Warum der älteste Sohn Edik, der nach der Flucht nach Nordrhein-Westfalen kam, nicht bei der Familie wohnen darf, obwohl er nach einer Kriegsverletzung gehbehindert ist. Warum die Familie eine Genehmigung braucht, wenn sie Bremen verlassen möchte. Und vor allem, warum das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) ihren Asylantrag abgelehnt hat. 1.886 Asylanträge von Tschetschenen gingen beim Bundesamt im Jahr 2002 ein, 71 Prozent davon lehnte es ab.

Die Gadaevas haben gegen den Bescheid der Behörde geklagt. So gewinnen sie etwas Zeit. Solange die Klage läuft, können sie nicht abgeschoben werden. Sie und die anderen Tschetschenen wollen nicht untätig herumsitzen. Sie würden sich gern mit in Deutschland lebenden Landsleuten austauschen oder bei Demonstrationen auf ihre Lage aufmerksam machen.

„Aber die Behörden lassen uns nicht“, sagt Ibragim Gadaeva. Die rund 75 Tschetschenen, die in Bremen leben, bekämen keine Erlaubnis, die Hansestadt für politische Kundgebungen zu verlassen. Viele Flüchtlinge fahren deshalb ohne Genehmigung – eine Straftat, die im Wiederholungsfall die Abschiebung bedeuten kann. Sarah Reinke von der Gesellschaft für bedrohte Völker glaubt, dass das gewollt ist: „Die Flüchtlinge sollen mundtot gemacht werden.“

Der Sprecher des Bremer Innensenators, Markus Beyer, reagiert heftig auf diesen Vorwurf: „Das ist gelogen. Ich weiß nicht, warum so etwas verbreitet wird. Bei uns hat niemand einen solchen Antrag gestellt.“ Eine Anweisung, die den Tschetschenen verbiete, zu Demonstrationen zu reisen, gebe es nicht.

Sarah Reinke hat andere Erfahrungen gemacht. Im Februar kam eine Gruppe von sechs Tschetschenen aus Bremen zu ihr. Die Flüchtlinge wollten zu einer Protest-Demo anlässlich eines Staatsbesuchs des russischen Präsidenten Putin nach Berlin fahren und hatten bei der Ausländerbehörde vergeblich versucht, eine Genehmigung zu bekommen. Auf ihre Nachfrage beim Innensenator habe sie eine deutliche Antwort bekommen: Man erlaube den Flüchtlingen grundsätzlich nicht, Demonstrationen zu besuchen. Sonst könnten sie sich später darauf berufen, in Deutschland politisch aktiv gewesen zu sein – und so die Abschiebung verhindern.

Zurzeit werde wegen der unübersichtlichen Lage in der Krisenregion ohnehin nicht abgeschoben, heißt es aus dem BAFl, aber das könne sich jederzeit ändern. Ibragim Gadaeva weiß nicht, wie Experten die Situation einschätzen. Er weiß nur, dass er und seine Familie jeden Tag mit der Angst leben, zurückgeschickt zu werden. „Um uns umzubringen, müssen sie uns nicht ausfliegen“, sagt er leise, „dann können sie uns auch gleich hier erschießen.“ Steffen Hudemann