harald fricke über Märkte
: Frauenzeitschriften geben sich bedeckt

Sex, Sex, Sex! Deswegen vertreibt Wal-Mart „Cosmopolitan“ & Co. nur noch in blickundurchlässiger Folie

Seit einigen Tagen ist mein Interesse an Frauenzeitschriften erheblich gestiegen. Es ist Sommer, die Juli-Ausgaben von Cosmopolitan, Elle, Joy, Maxi oder Marie-Claire liegen an den Kiosken aus. Die Cover sind ziemliche Hingucker: Cameron Diaz fährt Drew Barrymore mit der Zunge über die Lippen; das niederländische Topmodel Jolijn Spek zeigt, warum sich Kenzo für ihren Po interessiert; und Julia Roberts, ja, die „Pretty Woman“-Roberts, hat für die Erotik-Starfotografin Ellen von Unwerth in ihrem Schlafzimmer posiert.

Na gut, ich habe ein bisschen übertrieben. Es war kein Schlafzimmer, sondern ein Fotostudio in West-Manhattan. Roberts trägt ein rotes Paillettenkleid, lächelt ihr herzliches Rennpferdlächeln und wirkt super sympathisch. Auch bei Barrymore und Diaz ist die Fantasie mit mir durchgegangen. Die beiden haben fürs Shooting einfach die Köpfe zusammengesteckt wie in einem Passbildautomaten. Auf einem weiteren Foto in der Cosmopolitan trägt Barrymore ein Rüschentop plus weiße Caprihosen und sieht aus, als wollte sie junge Frauen dazu verführen, sich einen Setzkasten und eine Sammlung mit Holly-Hobby-Puppen anzuschaffen.

So kann man sich irren. Nicht aber bei Wal-Mart. Unerbittlich ist die US-amerikanische Supermarktkette, wenn es um Moral und Anstand geht. Züchtigkeit gehört zur Firmenphilosophie, genauso wie breite Wege für große Einkaufswagen und ständig lächelnde Mitarbeiter. Immerhin ist Wal-Mart mit seinem Bekenntnis zu „Family Values“ der weltweit erfolgreichste Shopping-Markt. Selbst im vierten Quartal des in der Branche als katastrophal bewerteten Geschäftsjahres 2002 stiegen die Umsätze noch einmal um 1,3 Prozent.

Jetzt hat der Konzern verfügt, dass die Titelseiten von Cosmopolitan, Marie-Claire oder Glamour ab diesem Monat nicht mehr unverhüllt in ihren Filialen angeboten werden dürfen. Stattdessen werden die Zeitschriften in einer blickundurchlässigen Folie verkauft; nur der Titel bleibt sichtbar. Denn Wal-Mart will seinen Kunden, vor allem Kundinnen mit Kindern, nicht länger Nacktheit und Obszönität zumuten.

In diesem Punkt sind christliche Südstaaten-Amis und Taliban auf gleicher Wellenlänge. Überall sieht das Unternehmen aus Arkansas den Durchmarsch von Sex, Sex, Sex: Wenn nicht in der Präsentation der Covergirls, dann zumindest in den Überschriften. So kündigt die US-Ausgabe von Cosmopolitan in diesem Monat ein „Sex Special“ an, das darüber informiert, wie sich junge Männer in den einzelnen Bundesstaaten heiße Liebe vorstellen.

Prompt habe ich nachgeschaut. Da ist zum Beispiel Thaddeus aus Alaska, der gerne Berge besteigt und einer Frau die Hand in den Nacken legt, wenn er sie rumkriegen will. „Danach reibe ich mit meinem Finger an ihrem Ohrläppchen, fahre hinüber auf die Wange, und dann wird geküsst.“ Das ist ekelhaft bis ins Detail. Und auch das „Dating Diary“ hat mir schwer zu denken gegeben. Dort erklärt ein gewisser Josh, dass er mit einer Frau nur schlafen kann, wenn er auch wirklich mit ihr zusammensein will. Bei Carrie weiß er es nicht so genau, obwohl Carrie offenbar ein ziemlich scharfer Feger ist. In seiner Verzweiflung bandelt er deshalb erst mal für eine Nacht mit Swetlana, dem russischen Luxus-Modell, an.

Während ich von so viel Beziehungssumpf, Macho-Eifer und Begierde angefixt auf der US-Homepage hastig weiterblättere, blitzt plötzlich eine Werbung für Wal-Mart auf. „Hier sind die Schnäppchen, klicken Sie jetzt!“ steht auf dem Banner, das direkt auf die Website des Unternehmens führt. Nun bin ich vollkommen ratlos: Wie kann ein Konzern, der die Schmuddelware in den eigenen Regalen angeblich nur verschleiert erträgt, im Internet mit dem sündigen Feind gemeinsame Sache betreiben? Gelten die zehn Gebote im Netz nicht? Vorneherum den Taliban markieren und hintenrum bei der Bettgeschichtenleserschaft auf Kundenfang gehen?

Das macht mich wütend. Auf beide Seiten. Von den Wal-Mart-Aposteln fühle ich mich verraten und von Cosmopolitan verkauft. Offenbar nimmt die Zeitschrift die Zensur hin, weil ohne den Konzern der Umsatz einbrechen würde. Mit zehn Prozent Verlust ist zu rechnen, wenn Wal-Mart sich weigert, ein Produkt wegen zu viel Sex, Drugs oder gar Rock ’n’ Roll ins Sortiment aufzunehmen.

Dafür hat selbst die Band Nirvana damals aufs „Utero“-Cover verzichtet und den Song „Rape Me“ in „Waif Me“ umgetextet – was soll’s, wird sich Kurt Cobain gedacht haben, ist schließlich auch bloß Ware. Von einer Frauenzeitschrift, die ihrer vor allem weiblichen Klientel zu einem besseren und emanzipierten Liebesleben verhelfen will, hätte ich dagegen mehr Vertrauen in die Leserinnen erwartet. Und weniger Gehorsam vor dem Shopping-Mall-Riesen.

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