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Archiv-Artikel

Party in Gottes verlassenem Winkel

Aus Bauernland wird Sommerfrische: Künstler im niedersächsischen Wendland laden in ihre Ateliers zur traditionellen „Kulturellen Landpartie“ mit Pizza und Gegrilltem. Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten öffnen sie ihre Werkstätten, Höfe und Gärten für Besucher

VON CHARLOTTE SCHMITZ

Im Wendland haben viele Künstler und Kunsthandwerker ihren Rückzugsort gefunden. Viele lernten die Region durch Proteste der Anti-Atom-Bewegung kennen, fühlten sich dort wohl und richteten ein Heim ein. Zur „Kulturellen Landpartie“ zwischen Himmelfahrt und Pfingsten öffnen sie ihre Ateliers, Werkstätten und Höfe für Besucher.

Die klobigen Wanderschuhe hängen wie Gewichte an den Füßen des Mannes. Er schlurft über den Hof, den Strohhut tief ins Gesicht gezogen. „God loves Cowboys“ steht auf dem T-Shirt. Klaus Schoppe hat seinen Traum vom fast autarken Trapperleben im Wendland verwirklicht. „Jeden Baum für mein Haus habe ich im Wald selbst ausgesucht, geschlagen, geschält und zugeschnitten.“ Der 45-Jährige aus Hildesheim kaufte 1989 eine alte Ziegelei in Mützingen, die vorher als Bhagwan-Zentrum, Schlachterei und Pilzdosenfabrik gedient hatte. Heute steht dort ein stattliches Gebäude aus schweren Stämmen gefertigt, mit Wintergartenanbau und Grasdach. „Die Einheimischen waren froh, als wir blieben. Die stehen drauf, dass wir Reinhauer sind.“

Die Einheimischen, das sind die alteingesessenen Mützinger, die auf der anderen Seite der Dorfstraße leben, in verklinkerten Einfamilienhäusern mit Geranien-Ampeln und kurz geschorenem Rasen vor der Tür. Zwei Lebensweisen, so verschieden wie ihre Behausungen. Klaus Schoppe hat sich trotzdem integriert. Er ist zwar nicht in die Ortsfeuerwehr eingetreten, dafür aber Jäger geworden. Wenn Schoppe nicht durch den Wald streift, betreibt er mit Frau und zwei Söhnen eine Lederwerkstatt im Untergeschoss des Blockhauses. Zweimal im Jahr herrscht Ausnahmezustand: Zu Pfingsten öffnen Schoppes ihr Anwesen für die „Mützingenta“, einen Handwerkermarkt. Anfangs kamen 300 Besucher, dies Jahr werden es wieder über 10.000 sein, die ein „fröhlich-freundliches Miteinander feiern“. Auf dem Hof sind Stände aufgebaut mit Keramik, Lederwaren, Schmuck, Filzhüten, Glasarbeiten vom Glasbläser, Kleidung von alternativen Modeschöpferinnen und natürlich auch mit Pizza, Grillgut und Getränken.

Der andere Ausnahmezustand ist nicht genau datiert. Er ist am „Tag X“, wenn der Castor kommt. Die „Kulturelle Landpartie“ durchs Wendland entstand, als die Atomkraftgegner ihrem Widerstand eine neue Form geben wollten. Sie richteten „Wunderpunkte“ ein, anfang noch „Wunde(r) Punkte“ geschrieben. In diesem Jahr findet die kulturelle Landpartie zum 15. Mal statt – sie ist weiterhin mit der Anti-Atom-Bewegung verbunden, aber nicht mehr von ihr dominiert. Viele Besucher kommen aus reinem Kunstinteresse. Doch auch sie werden immer wieder auf das X-Zeichen der Anti-Atom-Bewegung stoßen, mal als einsames Holzkreuz mitten im Wald, mal an eine Scheune gemalt.

Wanda Sippl, 45 Jahre, Keramikmeisterin, betreibt ihren Brennofen mit Ökostrom. Sippl kam vor elf Jahren aus Bayern ins Wendland. Zwei Sprüche habe sie beim Zuzug gehört, beide hätten sich bewahrheitet: „Einmal Wendland, immer Wendland“ und „Landkreis Psycho-Pannenberg“ für Lüchow-Dannenberg. „Das ist liebevoll gemeint“, setzt Wanda Sippl schnell hinzu, die die Gemeinschaft bei Demonstrationen und im Alltag schätzt.

Schon die Architektur vieler Dörfer im Wendland fördert den Gemeinschaftsgeist: Die Höfe stehen im Kreis, die Hoftore einander zugewandt. Die Architektur der „Rundlinge“ stammt von den Slawen, die im siebten und achten Jahrhundert hierher kamen. Das Wendland war der westlichste Punkt ihres Siedlungsgebiets. Namen wie Lüchow, Lübbow, Lemgow – das „w“ wird nicht gesprochen – erinnern bis heute an slawische Gründer.

Die Orte mit den wohl tönenden Namen liegen entlang von Landstraßen, gesäumt von alten Eichen. Schwalben segeln über Getreidefelder. Selten verschafft eine sanfte Anhöhe Überblick über die Weite der Landschaft. „Ich war fasziniert von der Gegend, weil sie der Altmark ähnelte, wo meine Großeltern lebten. Da konnte ich ja nicht mehr hin“, sagt Franziska Groszer. Die Kinderbuchautorin wurde 1977 aus der DDR ausgebürgert, weil sie gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann protestierte. Im Wendland fand Groszer „Gottes verlassenen Winkel“. Im Wendland „kann man sein, wie man will“, meint sie.

Solange die DDR bestand, war der Landkreis Lüchow-Dannenberg eine Sackgasse. Die deutsch-deutsche Grenze machte hier eine Schleife nach Osten, markiert durch die breit und träge dahinfließende Elbe.

Nur zwei Kilometer von Gorleben entfernt, in Gedelitz, wohnt Wolf-Rüdiger Marunde, bekannt als Cartoonist von „Marundes Landleben“. Während der Kulturellen Landpartie zeigt er in seiner Scheune „Witze in Öl“. Der 50-Jährige mit den dunklen Stoppelhaaren malt Ölbilder, die menschelnde Schweine und Hühner inmitten von Misthaufen zeigen. Die Vorbilder sucht er rund um den Hof, wo er mit Frau, fünf Kindern, Katze und Hund wohnt. Der Künstler fand Seelenverwandte: eine „kritische Masse von Leuten“, die ein reges Kulturleben pflegen.

Stadtmüde Berliner und Hamburger waren bereits in den frühen 70ern ins Wendland gezogen und hatten alte Höfe zu Schleuderpreisen erworben. Sie renovierten sie sorgfältig. Von manchem Balken prangt frisch gestrichen eine Inschrift, die ein Zimmermann vor über 100 Jahren schnitzte. „In Gottes Segen /Ist Alles Gelegen.“

Kulturelle Landpartie: 20. bis 31. Mai 2004 Programmheft (175 Seiten) gegen 3,50 Euro bei feffa e. V., Lüneburger Str. 18, 29451 Dannenberg, Tel. (0 58 61) 98 83-13 oder kulturelle-landpartie@feffa.de, www.kulturelle-landpartie.de Die Veranstalter geben Tipps für die Unterkunft. Anreise mit der Bahn wird angeraten. Das Programmheft enthält Vorschläge für Radtouren von einem „Wunderpunkt“ zum nächsten.