Europa, ein Klischee

Bulgarien als „türkische Toilette“, schwules Polen: Die Installation „Entropa“ des tschechischen Künstlers David Cerny am Gebäude des Europäischen Rats in Brüssel sorgt für Aufregung

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Die tschechische Ratspräsidentschaft wird wohl kaum als die diplomatisch erfolgreichste in die EU-Chroniken eingehen. Aber das kleine Land demonstriert immerhin, dass es pfiffige und mutige Künstler hervorbringt. Damit sollte sich die tschechische Regierung trösten, wenn sie jetzt den diplomatischen Scherbenhaufen zusammenkehren muss, den der Installationskünstler David Cerny mit seinem Werk „Entropa“ produziert hat.

Europaminister Alexandr Vondra versuchte es zunächst mit einer Flucht nach vorn, als er die aus 27 nationalen Puzzleteilen bestehende Reliefplastik gestern vorstellte: 2009 sei ja das Europäische Jahr der Kreativität und der Innovation. „Zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist in Europa kein Platz für Zensur“, sagte er trotzig, um sich gleich darauf mit Grabesstimme „bei all denen, die sich beleidigt fühlen könnten“, zu entschuldigen.

Vondras Hoffnung, man werde nun miteinander lachen und nicht übereinander, erfüllt sich zumindest in Bulgarien nicht. Das Land wird in Form eines Stehklos, im zugehörigen Katalog als „türkische Toilette“ bezeichnet, im Relief dargestellt. Die bulgarische Regierung hat in Prag offiziell protestiert und verlangt, dass der Lokus abgehängt wird. Damit beginnt das Kunstwerk, sich im Sinne seiner Schöpfer zu entfalten. „Das Wesentliche ist nicht das Fiberglas, sondern die Diskussionen, die nun entstehen“, erklärte ein Freund von David Cerny, der an der Konzeption mitgearbeitet hat. Und Cerny sagte: „Ich fühle mich nicht als Gewinner, weil heute so viele Leute gekommen sind. Ich würde mich als Gewinner sehen, wenn ich diese verkrustete Stadt emotional durchschütteln könnte.“

Das ist dem Künstler bereits gelungen. Sein Werk soll bis Ende Juni in der Eingangshalle des Ratsgebäudes hängen. Wo sonst Politiker hölzerne Statements abgeben, tobten gestern große Emotionen. Blanke Empörung vor allem bei den Osteuropäern, tiefe Zerknirschung bei den Vertretern der tschechischen Regierung und jubelnde Begeisterung bei den vielen Journalisten und Eurokraten, die das Spektakel miterlebten.

David Cerny hat sie alle gelinkt. Die tschechische Regierung hatte ihn gebeten, bei Künstlerkollegen der 26 Mitgliedsländer je ein Relief in Auftrag zu geben, das Stereotype ihres Landes veranschaulicht. So zeigt der deutsche Beitrag blinkende Autobahnen des Künstlers Helmut Bauer, dessen Vita im Katalog mit einer Ausstellung im „Handwerksmuseum Deggendorf“ und in der „Meiling Knibbe Gallery, Edam“ gewürdigt wird. Die Berliner Zeitung bemerkte dazu am Dienstag: „Für Deutschland hat Helmut Bauer nicht eben überraschend eine Miniatur-Autobahn mit kleinen Fahrzeugen, Licht- und Toneffekten entworfen, womit er aber auch korrekt und eifrig die ‚Absurdität der europäischen Verkehrspolitik‘ anprangern will, die keine echten Alternativen zu benzingetriebenen Motoren biete.“

Doch „korrekt und eifrig“ ist die Installation eben gerade nicht. Denn Helmut Bauer existiert gar nicht, sein Beitrag im Ausstellungskatalog ist ebenso ein Hoax wie sein Lebenslauf und der von 25 anderen Künstlern. Cerny hat sich den Katalog und die Objekte ausgedacht und will damit eine andere Absurdität als den Verkehr anprangern: die Sprache der Kunstkataloge, den Kunstbetrieb und die journalistische Schreiberei darüber – die sich oft ungeprüft aus dem Ausstellungskatalog bedient.

Den britischen Künstler „Khalid Asadi“, der mit einer Ausstellung in der „Salt Gallery in Cornwall“ in die Geschichte eingehen wird, lässt Cerny die große Leere in der Kunst neu erfinden. „Kunst sollte fähig sein, die Exaktheit ihrer Aussage in der zur Verfügung stehenden Zeit zu verbessern und sich so, in paradoxer Weise, selbst im historischen Zusammenhang definieren. Dieser individuelle Filter des Künstlers kann den sogenannten objektiven Filter überdecken. Wo die Schnittstellen nicht aufeinander fallen, entstehen leere Räume.“ Nur konsequent also, dass das für Großbritannien vorgesehene Puzzlefeld leer bleibt.

Eine Sprecherin der tschechischen EU-Vertretung sagte auf die Frage, ob die bulgarische Forderung erfüllt werde, die „türkische Toilette“ zu entfernen: „Wenn sie es wirklich weghaben wollen, tun wir das.“ Andere Länder könnten folgen. Italien dürfte über die mit Fußbällen kopulierenden Nationalspieler ebenso wenig glücklich sein wie Litauen über sechs Maneken Pis in Soldatenuniform, die über die Grenze nach Russland pinkeln. Aus dem überfluteten Holland ragen nur noch fünf Minarette hervor und in Polen hissen katholische Priester die Schwulenflagge in der Pose der US-Soldaten 1945 auf Iwo Jima. Vielleicht begrüßt Ende Juni nur noch ein leerer Rahmen die Gäste des Ministerrats in Brüssel. Aber das wäre dann auch eine künstlerische Aussage.