Zehn Monate bis zum EU-Asyl

Wenn die EU mit 25 Mitgliedern nicht handlungsunfähig werden will, muss ab Mai 2004 das Mehrheitsprinzip gelten. Das weiß man auch in Berlin

von CHRISTIAN RATH

Den Deutschen geht es wieder einmal zu schnell. Bei der Einwanderung soll die EU auch in Zukunft mit Einstimmigkeit beschließen. Das fordern Joschka Fischer, Erwin Teufel und Jürgen Meyer, die drei deutschen Delegierten im Konvent zur Ausarbeitung einer EU-Verfassung. Heute beginnt in Brüssel die letzte Verhandlungsrunde.

Auf den ersten Blick wirkt die deutsche Phalanx imposant und lagerübergreifend. Fischer ist Grüner und vertritt die Bundesregierung, Meyer ist SPD-Mann und Vertreter des Bundestags, und CDUler Teufel steht für die Position der Länder. Doch ihr Brief an Konventspräsident Giscard d’Estaing ist nur ein mühsam gefundener Minimalkonsens. Denn Meyer und Teufel wollen in weiten Teilen der Einwanderungspolitik eigentlich gar keine EU-Kompetenz. Über den Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt sollen die Mitgliedstaaten nach wie vor alleine entscheiden.

Die Bundesregierung ist dagegen viel integrationsfreundlicher. Ihr ist klar, dass bei der Schaffung einer Politischen Union ein so wichtiger Bereich wie die Einwanderung nicht einfach herausgenommen werden kann. Die jetzige Linie hat Bundeskanzler Schröder vor zwei Wochen beim EU-Gipfel in Thessaloniki vorgegeben: „Ich will wissen, was der inhaltliche Kern der europäischen Zuwanderungspolitik ist, bevor Deutschland bereit ist, eine solche Frage, die viele Menschen bei uns berührt, in die Mehrheitsentscheidung zu geben.“ Im Klartext heißt das: Wenn die Grundfragen der Einwanderungspolitik einstimmig beschlossen sind, soll es einen automatischen Übergang zur Mehrstimmigkeit geben. So hat es auch Joschka Fischer im Konvent beantragt. Und um bei den insgesamt 105 Delegierten überhaupt etwas zu erreichen, werden am Ende wohl auch Meyer und Teufel nicht widersprechen.

Ein vergleichbares Modell gilt seit dem Vertrag von Nizza, der Anfang des Jahres in Kraft getreten ist, bereits für die Asyl- und Flüchtlingspolitik der EU. Wenn die „wesentlichen Grundsätze“ einstimmig festgelegt wurden, dann tritt automatisch das Mehrheitsprinzip mit Mitentscheidung des Europäischen Parlaments in Kraft.

Deshalb ist auch der in Deutschland entstandene Eindruck falsch, Fischer, Teufel und Meyer wollten beim Asylrecht generell an der Einstimmigkeit festhalten. Ihr Vorstoß bezieht sich nur auf ganz bestimmte Fragen der Einwanderung, also den Schutz der Außengrenzen, das Vorgehen gegen Schleuser und den Zuzug von Immigranten, die keine Flüchtlinge sind. Im Bereich der Asylpolitik mauert Deutschland zwar auch, aber nicht im Konvent, sondern im Ministerrat. Die beiden zentralen Richtlinien über den Flüchtlingsstatus und das Asylverfahren sind noch immer nicht beschlossen, nicht zuletzt, weil Deutschland zahlreiche Vorbehalte eingelegt hat. Hier nutzt Innenminister Schily die noch bestehende Einstimmigkeit weidlich aus, um Europa seinen Stempel aufzudrücken.

Allerdings hat auch Deutschland durchaus ein Interesse, die Asyl-Richtlinien möglichst bald zu verabschieden. Denn wenn im Jahr 2004 plötzlich zehn neue Mitgliedstaaten in den EU-Gremien mitarbeiten, dann dürfte die Einstimmigkeit kaum noch zu erreichen sein. Deshalb wollen alle EU-Staaten bis zum Ende des Jahres die grundlegenden Asyl-Fragen geklärt haben, damit in der 25er-EU dann von vornherein das Mehrheitsprinzip gilt.

Es kommt deshalb gar nicht so sehr darauf an, dass auch in der jetzt ausgehandelten EU-Verfassung für Asylfragen das Mehrheitsprinzip vorgesehen ist. Denn die Verfassung kann nach Regierungskonferenz und Ratifikation in den Mitgliedsstaaten wohl erst in drei bis vier Jahren in Kraft treten. So lange will niemand auf eine gemeinsame Asylpolitik warten.