: Ein Kompromiss zum Auswandern
Migranten in Berlin sind vom Kompromiss für das Zuwanderungsgesetz enttäuscht. Er sei eine deutliche Verschlechterung. PDS sieht Festungsmentalität nicht durchbrochen. Grüne skeptisch
VON SABINE AM ORDE
Die Migrantenvereine der Stadt haben gestern entsetzt auf den Kompromiss beim Zuwanderungsgesetz reagiert, auf den sich am Dienstag Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit der Spitze der Union geeinigt hat. „Lieber kein Gesetz als so eins“, sagte Eren Ünsal, Sprecherin des Migrationsrats, der 45 Organisationen vertritt. „Das ist keine Verbesserung für die Migranten, sondern eine Verschlechterung.“
Ähnlich äußerte sich auch der Türkische Bund Berlin-Brandenburg, die größte Migrantenorganisation der Stadt. „Das ist weder ein Zuwanderungs- noch ein Integrationsgesetz“, so TBB-Sprecher Safter Cinar. „Das ist ein Gesetz zur Gefahrenabwehr von Migranten.“ Die vorgesehenen Maßnahmen im Bereich Sicherheit, wie die Abschiebungsanordnung aufgrund einer „tatsachengestützen Gefahrenprognose“ und die Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, die die Union in das Gesetz hineinverhandelt hat, seien „verfassungsrechtlich fragwürdig“.
„Wir haben gehofft, dass das Ganze doch noch scheitert“, sagt auch Maciej Berlin vom Polnischen Sozialrat, der auch im Migrationsbeirat sitzt. Zwar gebe es auch einige positive Aspekte, wie den Rechtsanspruch auf staatliche Integrationangebote. „Aber die Mängel überwiegen eindeutig.“
„Die beiden guten Sachen für Flüchtlinge“, sagt Hamit Nowzari vom Verein iranischer Flüchtlinge und meint damit die Anerkennung von nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung, „muss die Bundesrepublik aufgrund der europäischen Gesetzgebung sowieso umsetzen.“ Alles andere sei schlicht „eine Enttäuschung“.
„Unakzeptabel“ findet auch die PDS den Kompromiss. „Die Chance auf ein modernes Zuwanderungsgesetz ist vertan“, urteilt Giyasettin Sayan, migrationspolitischer Sprecher der PDS. „Während auf dem Gebiet der Integration die Festungsmentalität nicht durchbrochen werden konnte, blieb die Integrationspolitik weit hinter den Erfordernissen zurück und setzt einzig auf Sanktionen.“ Die rot-rote Koalition werde alles daransetzen, die Migrationspolitik im Rahmen der Möglichkeiten des Landes positiv zu gestalten.
Ganz so eindeutig fällt das Urteil des Integrationsbeauftragten des Senats, Günter Piening, nicht aus. „Zwar ging es zum Schluss nicht mehr um optimale Integration, sondern um erleichterte Abschiebung“, sagt Piening, „und das sieht man dem Gesetz auch an.“ Es enthalte aber auch einige positive Aspekte. So sei der Rechtsanspruch auf Integrationskurse, der nun doch im Gesetz stehen soll, und vor allem die Zusage des Kanzlers, dass der Bund diese Kurse finanzieren werde, „sehr wichtig für Berlin“.
Ganz festlegen will sich auch der grüne Fraktionschef Volker Ratzmann nicht, schließlich ist seine Partei für das Zustandekommen des Gesetzes mit verantwortlich. „Ich bin sehr skeptisch, ob es zu einer Verbesserung führen wird“, sagt Ratzmann, auch wenn er dann anfügt: „Der Kompromiss lässt das Problem Zuwanderung nach wie vor ungelöst.“ Gerade für Berlin wäre es wichtig gewesen, den hier lebenden Migranten eine sichere Perspektive zu bieten. Bitter sei, dass man sich entgegen dem Votum des grünen Länderrats auf die Regelanfrage beim Verfassungsschutz und die Errichtung einer Warndatei verständigt hat. Ratzmann geht davon aus, dass Innenminister Otto Schily (SPD) in Abstimmung mit den Grünen einen Gesetzentwurf erarbeiten wird, der dann Günther Beckstein (CSU) und Peter Müller (CDU) vorgelegt wird. Bislang hieß es, Schily, Beckstein und Müller würden den Entwurf ausarbeiten – ohne die Grünen.
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