: Sardinien will kein Endlager
Plant die italienische Regierung eine Atommüllkippe auf der Mittelmeerinsel?
aus Rom MICHAEL BRAUN
Anti-Atom-Protest vor der Berliner Gedächtniskirche, gestern Abend: „Kein Endlager“ fordern die Sitz-DemonstrantInnen. Doch nicht Gorleben meinen sie – sondern Sardinien.
Dort machte gestern die ganze Insel mobil: mit Sit-ins, Diskussionsveranstaltungen, Demonstrationen. UnterstützerInnen gingen auch in zahlreichen italienischen und europäischen Großstädten auf die Straße. Selbst in Australien riefen die sardischen Communities zum Protest: gegen die Pläne der Regierung aus Rom, ihre Insel in ein Atommülllager zu verwandeln.
Offiziell existieren diese Pläne gar nicht. Bisher haben Silvio Berlusconis Minister nur die dem Schatzministerium unterstehende Gesellschaft zur Lagerung und Sicherung nuklearer Abfälle (Sogin) angewiesen, in Italien nach Standorten für ein Endlager zu suchen. Dort sollen sowohl die in Zwischenlagern angesammelten 53.000 Kubikmeter Nuklearmüll Platz finden als auch die 500 Tonnen strahlenden Abfalls, die jährlich in Krankenhäusern und Forschungseinrichtungen anfallen.
In dem Rapport, den die Sogin der Regierung ablieferte, taucht das Wort Sardinien an keiner Stelle auf. In dem Papier ist allerdings die Rede von aufgelassenen Bergwerken oder nicht mehr genutzten Munitionslagerstätten „in einer erdbebensicheren Region“. Da wurden die Sarden hellhörig: Beide Kriterien passen nur zu ihrer Insel. Der nukleare Dreck solle also entweder in den Bergwerksschächten im Süden Sardiniens oder in einem Militärdepot auf der Insel abgeladen werden, befürchten die Sarden jetzt – zumal sich die Regierung auf eine parlamentarische Anfrage hin weigerte, entsprechende Pläne zu dementieren.
Bisher lief die Diskussion unter dem kompletten Desinteresse der italienischen Öffentlichkeit ab. Doch Berlusconis Kabinett hat ein Problem: Auf Sardinien selbst eint der Protest alle Bevölkerungsschichten und alle politischen Lager. Die Tageszeitung Unione Sarda druckt Tag für Tag Brandartikel und vertreibt als Beilage zum Blatt die Fahne mit der Aufschrift „Nein zum Atommüll“. Kommunen quer über die Insel, die Kirche, Unternehmer und alle Parteien haben sich dem Protest angeschlossen. Am Mittwoch verabschiedete das Regionalparlament auch mit den Stimmen der regierenden Parteien des Berlusconi-Lagers einen Antrag der Mitte-links-Opposition, der die Insel zum „nuklearfreien Territorium“ erklärte.
Ein erstes Resultat hat der Widerstand schon erreicht: Ursprünglich sollte die Auswahl der Deponie schon am 15. Juni erfolgen, jetzt ist die Entscheidung um ein Jahr verschoben worden. Damit aber gibt sich die sardische Protestfront nicht zufrieden: Sie will ein definitives Nein zu den Lagerplänen auf der Insel.