: Abschreiben bei den Besten
Das Bildungsministerium hat die Schulsysteme ausgewählter Pisa-Teilnehmerstaaten vergleichen lassen. Bessere Betreuung und einheitliche Leistungserwartungen sind Merkmale des Erfolgs
von ANDREAS SPANNBAUER
Edelgard Bulmahn hat Nachhilfe genommen. Die Ministerin für Bildung wollte von Ländern mit einer erfolgreichen Schulpolitik lernen – und will nun sogar bei ihnen abschreiben. „Wir wollen in den nächsten zehn Jahren wieder an die Spitzengruppe der Welt vordringen“, drängte Bulmahn gestern in Berlin auf eine schnelle Bildungsreform. Der Anlass: Eine Studie des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (Dipf), in der die Bildungssysteme ausgewählter Pisa-Teilnehmerstaaten auf gemeinsame Merkmale verglichen wurden.
Die untersuchten Staaten Kanada, Großbritannien, Finnland, Frankreich, die Niederlande und Schweden eint vor allem eines: Sie haben in der Pisa-Studie der OECD sehr viel besser abgeschnitten als die Bundesrepublik. „Alle untersuchten Länder unterscheiden sich von Deutschland, weil sie die Schüler nicht schon nach vier Jahren auf verschiedene Schultypen aufteilen“, benennt der Leiter der Studie, Professor Eckhard Klieme, einen der wichtigsten Befunde.
Die Lehrer seien dort besser dafür ausgebildet, mit Unterschieden in der Leistungsfähigkeit umzugehen. Auch würden die einzelnen Schüler sehr viel besser betreut. Dabei werden insbesondere Kinder von Immigranten stärker gefördert als in Deutschland. „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Heterogenität der Klassen die Leistungsfähigkeit der Kinder bremst“, unterstreicht auch Klaus Klemm, Professor für Erziehungswissenschaften in Essen. Eine stärkere individuelle Unterstützung der Schüler könnte sogar eine Horrorvorstellung vieler Schüler beenden: „Wenn es eine sehr gute individuelle Förderung gibt, ist das Sitzenbleiben überflüssig“, sagt Bulmahn.
Darüber hinaus werden in allen untersuchten Staaten unstrittige Leistungsstandards auf nationaler Ebene formuliert. Die Bildungsministerin fordert daher die schnelle Einführung von klaren Leistungserwartungen auf Bundesebene, auf deren Entwicklung sich die Kultusministerkonferenz erst kürzlich verständigt hat. Die Umsetzung dieser Vorgaben wollen die Experten künftig durch professionelle Agenturen überprüfen lassen.
Nach Ansicht der Ministerin wird die Reform des Bildungssystems etwa zehn Jahre dauern. Auf einen Zeitplan will sich Bulmahn aber nicht festlegen. Fest stehe nur eines: „Ein Scheitern der Reform würde Deutschland zum bildungspolitischen Entwicklungsland machen.“