: Die Rentenkasse verlost ihre Akten
Bund und Länder organisieren die staatliche Altersvorsorge neu. Die Landesversicherungsanstalten, die bislang nur Arbeiter betreuten, sollen unter neuem Namen auch Angestellte verwalten. Über die Zuständigkeit entscheidet das Zufallsprinzip
AUS BERLIN ULRIKE HERRMANN
So sieht Bürokratieabbau in Deutschland aus: immer ganz gemächlich. Zum Beispiel bei der Rentenversicherung. Alles ist genauestens gesetzlich vorgeschrieben – die Beiträge ebenso wie die Auszahlungen. Trotzdem verteilt sich die Rentenverwaltung auf 26 verschiedene Träger. Sie sollen nun ab Januar fusionieren, hat das Kabinett gestern beschlossen.
Bisher bildete die Rentenversicherung ganz getreulich die Ständeordnung des 19. Jahrhunderts ab. Jede Gruppe hatte ihr eigenes Versorgungssystem. Es gab die Bahnversicherungsanstalt, die Seekasse und für die Bergleute die Bundesknappschaft. Die Arbeiter wurden von 22 Landesversicherungsanstalten verwaltet, während die Angestellten wiederum von der Bundesversicherung für Angestellte geführt wurden.
Dieses Standesdenken wurde zunehmend ineffizient, führte doch der Wirtschaftswandel dazu, dass den meisten Kassen die Kunden abhanden kamen. Deutsche Seeleute sind heute fast so selten wie Zootiere. Auch Bergleute oder Arbeiter gibt es kaum noch. Nur die Zahl der Angestellten nahm ständig zu.
Diese Entwicklungen sind keineswegs neu, und so wird auch schon seit mehr als zehn Jahren über eine Fusion diskutiert. Lange sperrten sich die Ministerpräsidenten, weil sie um die Arbeitsplätze in den 22 Landesversicherungsanstalten fürchteten. Darauf nimmt das Kabinett nun Rücksicht. Die Regionalträger bleiben erhalten, wenn auch unter neuem Namen. Sie heißen jetzt „Deutsche Rentenversicherung“, dann folgt als Zusatz ihre Regionalbezeichnung.
Über ihnen wölbt sich künftig eine Institution, die sich „Deutsche Rentenversichung Bund“ nennt. Die alte „Bundesversicherungsanstalt für Angestellte“ geht darin ebenso auf wie der bisherige Trägerverband aller Rentenkassen, der VDR. Die drei kleinen Kassen schließlich vereinigen sich zu einer Sonderanstalt mit dem Namen „Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See“.
Die Länderchefs haben gut verhandelt. Wie es in der Gesetzesbegründung so hübsch heißt, wurde die „Versichertenverschiebung von der Arbeiterrentenversicherung zur Angestelltenversicherung gestoppt“. Momentan betreut die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Hälfte aller Rentenversicherten, während die Landesversicherungsanstalten bislang immer weniger Arbeiter verwalten konnten.
Unter dem einheitlichen Dach wird es nun einen bundesweiten Schlüssel geben. Die Regionalträger erhalten 55 Prozent der Versicherten, die Deutsche Rentenversicherung Bund nur noch 40 Prozent und die Knappschaft-Bahn-See gerade 5 Prozent. Damit sich das neue Zahlenverhältnis einstellt, müssen jährlich 170.000 Akten auf Reisen gehen. Das Los entscheidet, welche Aktennummer die Landverschickung antritt.
Den betroffenen Versicherten kann es egal sein, für sie ändert sich höchstens eine Telefonnummer fürs Beratungsgespräch. Auch für die 74.500 Beschäftigen bei den Rentenkassen ändert sich kaum etwas. Betriebsbedingte Kündigungen wurden ausgeschlossen.
Dennoch hofft die Bundesregierung, in den nächsten fünf Jahren rund 350 Millionen Euro jährlich einsparen zu können. Das sind fast 10 Prozent der Verwaltungskosten. Diese Prognose überrascht, denn als konkrete Kürzungspotenziale benennt das Kabinett bisher nur, dass diverse Grundsatzabteilungen bei den Rentenkassen entfallen – und dass die EDV vereinheitlicht werden soll. Außerdem würden auf Bundesebene „insgesamt vier Geschäftsführerpositionen eingespart“.