Freunde verloren und Fenster zu

Die Schließung des spanischen Kulturzentrums in Havanna ist Teil des Rundumschlags gegen regierungskritische Kultur

Jean-Claude Gué weiß, wem er die Absagen der Konzerte von Sin Palabras zu verdanken hat. Mindestens 15 der 30 geplanten Auftritte der kubanischen Band, die gerade auf Europatournee ist, wurden kurzfristig gecancelt, so Gué, französischer Repräsentant der Band. Für die Band, die Elektro und traditionelle kubanische Klänge fusioniert, dramatisch und Folge des diplomatischen Drucks seitens der EU.

Möglicherweise wird es zahlreiche kubanische Kulturschaffende in den nächsten Monaten nicht anders gehen. Die Luft auf dem lukrativen europäischen Kulturmarkt wird dünner, denn eine ganze Reihe europäischer Staaten sowie die Europäische Union haben angekündigt, die Zusammenarbeit mit der Karibikinsel zu reduzieren oder vorübergehend ganz aufzugeben. Kulturveranstaltungen mit kubanischen Künstlern, die aus öffentlichen Töpfen gefördert werden, könnten seltener werden.

Spanien hatte Ende April am schnellsten reagiert. Nach der international heftig kritisierten Verurteilung von 75 Dissidenten und der Vollstreckung von drei Todesurteilen gegen die Entführer einer Fähre blieb die spanische Delegation dem 15. Festival „La Huella de España“ fern. Sehr zur Enttäuschung der Prima Ballerina Kubas, Alicia Alonso, die das Kulturfestival im Zeichen des Balletts mitorganisierte. Ihr Haus, das kubanische Nationalballett, hat in den letzten Jahren enge Beziehungen nach Madrid und Paris aufgebaut. Tourneen und das Ausbildungszentrum in Madrid könnten von den politischen Spannungen in Mitleidenschaft gezogen werden. So hat Frankreich jüngst erklärt, die Zusammenarbeit mit Kuba überprüfen zu wollen, während die EU bereits Anfang Juni beschlossen hat, politische Besuche und den kulturellen Austausch stark einzuschränken. Noch weiter ging die italienische Regierung, die nahezu sämtliche Kooperationsprojekte mit der Insel einstellte. So weit sind die Spanier trotz der Vorwürfe, Beschuldigungen und Beschimpfungen aus Havanna nicht gegangen.

Anfang Juni hatte Kubas Außenminister Felipe Pérez Roque die spanische Regierung beschuldigt, hinter der EU-Entscheidung zu stecken. Die und die darin enthaltene Einschränkung der kulturellen Kooperation sei ein „reaktionärer Akt“, hinter dem Ministerpräsident José María Aznar stecke. Zudem beschuldigte der Außenminister die Verantwortlichen in Madrid, das spanische Kulturzentrum in Havanna nicht den Absprachen gemäß zu leiten. Das Programm des Zentrums sei eine „Herausforderung für die kubanischen Gesetze und Institutionen“.

Worum es bei den Vorwürfen im Detail geht, ist bis heute von kubanischer Seite nicht erklärt worden. Möglicherweise ist das Informationsangebot des Zentrums, wo eben auch spanische Tageszeitungen und andere Informationen ausliegen, der kubanischen Regierung ein Dorn im Auge. Wie dem auch sei. Zwei Tage nach den Massenaufmärschen vor der spanischen wie italienischen Botschaft, bei denen Fidel Castro den spanischen Ministerpräsidenten als „Führerchen“ beschimpfte, wurden die laufenden Verträge gekündigt. Am 14. Juni ging das entsprechende Schreiben in der spanischen Botschaft in Havanna ein. Das am Malecón, der Hafenstraße Havannas gelegene Centro, soll in kubanische Hände übergehen, um die „besten Werte der spanischen Kultur in angemessener Weise zu verbreiten“, so die offizielle Note, die in den Medien verbreitet wurde. Auch einen neuen Namen wird das originalgetreu restaurierte zweistöckige Gebäude erhalten: Centro Cultural Federico García Lorca.

Die kubanische Regierung wird künftig diese Werte definieren. Die Message nach innen wie nach außen ist bekannt, und Fidel Castro persönlich hat sie in seiner Rede an die Intellektuellen bereits 1961 definiert: „Innerhalb der Revolution: alles! Gegen die Revolution: nichts!“ Dieser Satz hat in Kuba seitdem Gültigkeit, doch es gab Zeiten, in denen es viel, und andere, in denen es wenig Spielraum gab. Derzeit gibt es scheinbar keinerlei Spielraum. Die Prozesse gegen die Dissidenten, die in Kuba als Verräter im Dienste der USA und nicht als Kritiker an den herrschenden Verhältnissen gelten, und die Hinrichtungen haben das deutlich gezeigt. Auf wenig Verständnis stieß das kubanische Vorgehen, das immer wieder mit einer drohenden Invasion der USA gerechtfertigt wird, allerdings auch bei einigen guten Freunden der kubanischen Revolution. José Saramago, der portugiesiche Literaturnobelpreisträger, hat der Regierung die Freundschaft gekündigt. Seinem offenen Brief in der spanischen Tageszeitung El País folgten viele weitere. Kuba hat Freunde verloren, und auch der Appell der kubanischen Intellektuellen, angeführt von Alicia Alonso und dem Schriftsteller Miguel Barnet, sich die Motive für das staatliche Handeln erklären zu lassen, wird daran vermutlich wenig ändern. Ändern werden sich aber voraussichtlich die Arbeitsbedingungen von Alicia Alonso und Co. Mit Absagen, wie sie Sin Palabras hinnehmen muss, müssen auch sie rechnen.

KNUT HENKEL