: Die Wahl an der Kinokasse
Die Filmemacher Roland Emmerich und Michael Moore haben eines gemeinsam: Sie erregen mit ihren neuen Filmen die Gemüter in Amerika – schon lange, bevor sie in den Kinos zu sehen sind
AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK
Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass Unterhaltung Politik ist, ist er nunmehr erbracht.
Heute läuft in den USA Roland Emmerichs „The Day After Tomorrow“ an. Seit Wochen schon bekommt das Fernseh- und Kinopublikum kleine Häppchen zu sehen von der Apokalypse in Gestalt einer Klimakatastrophe. Für Moores Anti-Bush-Anti-Kriegsstreifen „Fahrenheit 9/11“, der in Cannes die goldene Palme gewann, gibt es noch keinen Filmverleih. Somit bleibt die Reflexion bislang auf die Feuilletons beschränkt.
Der deutsche Beitrag im US-Wahlkampf produzierte eine Aufregung, die selbst bei den zur Hysterie neigenden Amerikanern verwunderte. Schließlich wurden schon viele Filme gedreht, die ernsthafte Zukunftsthemen in Unterhaltung verwandeln und dabei wissenschaftliche Erkenntnis übertreiben, verzerren oder gar neu erfinden, sei es in Sachen Raumfahrt, Nuklearkrieg, Terroranschlag und Umweltkatastrophe. Vor zwei Jahren, kurz nach dem 11. September, lief ein Film über Terroristen, die in den USA eine Atombombe zünden. In der Fernsehserie „24“ auf Fox-TV ging es ein halbes Jahr lang um einen Terroranschlag mit Biowaffen. Doch keiner hat eine so heftige Kontroverse ausgelöst wie „The Day After Tomorrow“.
Das liegt vor allem daran, dass Liberale, Demokraten und ihnen nahe stehende Umweltorganisationen in dem Werk Schützenhilfe aus Hollywood und ein treffliches Mittel sehen, Bush wegen seiner nicht vorhandenen Klimaschutzpolitik anzuklagen. „Der Film wird mehr für den Klimaschutz tun als tausend Reden“, glaubt Peter Schuman, Direktor von MoveOn.org, jener Bürgerinitiative, die sich in zwei Jahren vom Internet-Protestverein zu einer landesweit schlagkräftigen Organisation gemausert hat.
Sie organisierte parallel zur Premiere in New York eine öffentliche Diskussion mit Al Gore, der den Film „eine seltene Gelegenheit für eine nationale Debatte“ nannte, Umweltaktivist Robert Kennedy Jr. und anderen linken Prominenten. Darüber hinaus werden 10.000 ihrer Anhänger am kommenden Wochenende ausschwärmen, um Flugblätter an Kinogänger zu verteilen: „Erderwärmung ist nicht nur fiktiv, es ist deine Zukunft.“
Klimawandel ist jedoch nicht nur ein Reizthema für Anti-Bush-Aktivisten, die den Präsidenten als Handlanger der Energie- und Autolobby verdächtigen. Das Thema erregt ebenso die Konservativen. Sie halten es für nichts als wirtschaftsschädliche Panikmache. Die Gefahren des Klimawandels seien ein „Mythos der Umweltextremisten“, empörte sich Ed Feulner, Chef der erzkonservativen Denkfabrik „Heritage Foundation“.
Die Wissenschaft ist gespalten. Patrick Michaels, Professor für Umweltwissenschaften an der University of Virginia, findet den Film schlicht „absurd“ und ein „Lügenmärchen“. Zwar bestreitet er den Klimawandel nicht, hält jedoch seine Risiken für gering und beherrschbar. Andere Forscher glauben, die Klimaveränderung sei ernst zu nehmen und werde von der Bush-Regierung sträflich vernachlässigt. Sicher sei der Film maßlos übertrieben, sagt Reid Detchon, Chef der „Energy Futures Coalition“, doch er könne zumindest das Bewusstsein für die realen Gefahren der Erderwärmung schärfen.
Die wieder aufgeflammte Debatte hat der US-Regierung gerade noch gefehlt – Abwehrschlachten muss sie bereits an so vielen Fronten schlagen. Das Weiße Haus lehnt daher jede Stellungnahme ab. Angesichts der anstehenden Sommerfilmsaison, in der sich die Blockbuster an Action und Desastern überbieten werden, steht jedoch nicht zu befürchten, dass der Wirbel um „The Day After Tomorrow“ Bush in schwere Bedrängnis bringt. Doch so viel Werbung in eigener Sache und öffentliche Aufmerksamkeit erhalten Amerikas Umweltschützer im Hochgeschwindigkeitsmedienzeitalter so schnell nicht wieder. Hände reiben sich auch die Produzenten. Die Diskussion sei wunderbar, frohlockt Jeff Godsick, Vizepräsident der 20th Century Fox Studios. „Das Interesse am Film ist gewaltig. Wenn er dann auch noch etwas für das Bewusstsein der Leute tut – prima. Eine Win-Win-Situation.“
Etwas anders erging es Michael Moore. Seine Bilder getöteter Zivilisten und desillusionierter GIs aus dem Irakkrieg, die noch niemand in den USA zu zeigen wagte, erschien vielen Filmverleihern zu brisant, der politische Preis zu hoch, die Gewinnspanne zu gering. Doch nach seinem Erfolg in Cannes stehen sie mittlerweile Schlange. Branchenkenner schätzen, dass der Film rund 100 Millionen Dollar einspielen könnte. Bei so einer Summe nimmt man schon Mal den Vorwurf in Kauf, kein Patriot zu sein.
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