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Archiv-Artikel

Keine Zeichen gegen den Raubbau

Trotz Wirtschaftsflaute hat die Entwaldung in Amazonien wieder das katastrophale Ausmaß der Achtzigerjahre erreicht. Ob es einer Ikone der Bewegung als Umweltministerin gelingt, Umweltpolitik gegen die Logik des Marktes zu machen, ist fraglich

aus Porto Alegre GERHARD DILGER

Jedes Jahr das Gleiche: Das brasilianische Umweltministerium gibt die Entwaldungszahlen des Vorjahres bekannt, die das staatliche Weltraumforschungsinstitut per Satellit ermittelt hat. Anschließend werden Sofortmaßnahmen verkündet: Sechs Millionen Euro stellt die Regierung für verschärfte Kontrollen in den Bundesstaaten Pará, Mato Grosso und Rondônia bereit, dem so genannten „Bogen der Zerstörung“.

Und doch gibt es diesmal feine Unterschiede. Immerhin ist mit der früheren Gummizapferin Marina Silva eine Galionsfigur der grünen Bewegung seit einem halben Jahr Ministerin. Sie versucht, die Umweltpolitik zu einer Querschnittsaufgabe auszuweiten, die sämtliche Regierungsorgane durchziehen. Elf Ministerien arbeiten an Maßnahmen gegen die Entwaldung, Anreize für umweltverträgliche Produktionsweisen, etwa in der Holzindustrie, werden aufgestockt, der Biolandbau gefördert.

Trotz wirtschaftlicher Stagnation wurden von August 2001 bis August 2002 gut 25.500 Quadratkilometer Regenwald zerstört – 40 Prozent mehr als im Vorjahr, wieder ist eine Fläche von der Größe Belgiens verschwunden. Das entspricht der Dynamik der 80er-Jahre, als Regenwaldzerstörung ganz oben auf der internationalen Agenda stand.

Für die jüngsten Zahlen ist die jetzige Regierung nicht verantwortlich. Aber Marina Silva hat bereits eingeräumt, dass sich der Trend schwer umdrehen lässt. Ihr Ministerium ist noch immer ein Fliegengewicht in der Regierung und von spürbaren Haushaltskürzungen betroffen – minus 57 Prozent auf gut 100 Millionen Euro. Um den Schuldendienst des Landes aufrechtzuerhalten und die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds zu erfüllen, hat Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den Sparkurs seines Vorgängers sogar verschärft.

Doch es kommt noch schlimmer. Die Brandrodung durch Kleinbauern, die Holzmafia oder die rapide wachsenden Sojaplantagen beschränken sich nämlich nicht mehr auf den „Bogen der Zerstörung“. Für Paulo Adário, der in Amazonien die Arbeit von Greenpeace koordiniert, hat der Raubbau bereits das Herz erreicht. Betroffen sind nun die Bundesstaaten Amazonas und Pará, die bislang weitgehend verschont waren.

Vor allem der Druck, Devisen um jeden Preis zu erwirtschaften, lässt Experten für den Regenwald schwarz sehen. So setzt Lula gemeinsam mit der Sojalobby auf den Bau von Wasser- und Landstraßen – Schneisen der Urwaldzerstörung. Die meisten Brandherde ballen sich entlang des südlichen Teils der Süd-Nord-Trasse von Cuiabá nach Santarém, die Asphaltierung der Nordhälfte steht bevor. In Santarém hat der Agromulti Cargill kürzlich ein Sojaterminal eröffnet. Die Sojaanbaufläche wächst jährlich um fast zehn Prozent.

Auch anderen Großprojekten wie dem Riesenstaudamm Belo Monte oder die Erdgasleitung von Urucu nach Porto Velho sind noch aktuell. Ausländische Investoren sollen die Wirtschaft ankurbeln, was die Bekämpfung der Massenarmut erleichtern soll. Bislang sei trotz aller guter Vorsätze in der Amazonien-Politik kaum ein Unterschied zu früheren Regierungen zu erkennen, sagt Kátia Vasconcellos von „Friends of the Earth“. Schon fast verzweifelt klingt da die Forderung von Greenpeace nach einer „Null-Entwaldungs-Strategie“ – analog zu Lulas „Null-Hunger-Programm“.