: Studis Nobeladresse
Do you speak Oxford English? Beim Sommerprobestudium in der englischen Universitätsstadt – very distinguished – kann es geübt werden. Auch Harry Potter lernte im Christ Church College. Ein Streifzug
VON CORINNE ULLRICH
Mittags in der Hall: holzvertäfelte Wände, an denen erhaben und ernst die großen Geister der Welt hängen: Wissenschaftler, Gelehrte und Politiker von Heinrich V. bis Königin Elisabeth. Geschnitztes Balkengewölbe, bunte Glasfenster, Kronleuchter, lange Tische mit kleinen hübschen Tischlämpchen. Mehrere Studenten, Seniors und Juniors, sitzen an den Tischen ordentlich in Anzug, weißem Hemd und Krawatte beim gemeinsamen Abendessen. Alltag in Oxford. Schnöde Kantine? Nie! Selbstbedienung? Aber woher denn! Im herrschaftlichen Speisesaal gibt es täglich ein Dreigängemenü und dienstbare Geister servieren alles unter den Augen des Lehrkörpers, der ein paar Stufen höher auf einem Podium über den Ablauf des Mahles wacht.
In Oxford ist einiges anders. Auch wenn die Studenten im Durchschnitt ein bis drei Jahre jünger sind als ihre deutschen Kollegen und samstagsnachts genauso einen draufmachen. Ihr tägliches Studentenleben gestaltet sich distinguierter als das ihrer meisten Kollegen in England oder Deutschland.
In Oxford gibt es 36 Colleges mit allem Drum und Dran: Bibliothek, eigene Verwaltung, Clubraum, Speisesaal und meist auch ein Lehrangebot, das alle Fächer umfasst. Die ältesten Colleges stammen aus dem 13. Jahrhundert, heute studieren hier um die 15.000 Studenten bei 1.000 Professoren, „Dons“ genannt. Einer von ihnen war Lewis Carroll, der Autor des phantastischen Romans „Alice im Wunderland“, der am College als Charles Dodgson Mathematik lehrte. 25 von 49 Premierministern (u. a. Margaret Thatcher und Tony Blair) drückten hier die Schulbank, ebenso wie der Dichter Oscar Wilde, der Autor Evelyn Waugh („Wiedersehen mit Brideshead – der Film wurde am Originalschauplatz, dem Hertford College gedreht) und der Komiker „Mr. Bean“.
Das studentische Leben beginnt morgens mit dem Gottesdienst, erst 1962 wurde dieser als Pflichtprogramm abgeschafft und ist seitdem freiwillig. Jedes College hat sein eigenes Gotteshaus. Zum wöchentlichen Pflichtprogramm gehört auch das Tutorium, bei dem sich der Student mit seinem Tutor trifft und ein Essay abliefert, das anschließend analysiert und kritisch diskutiert wird – exklusiver Privatunterricht, von dem deutsche Studenten an Massenabfertigungsuniversitäten nur träumen können. Kein Wunder, dass, wer in Oxford studiert hat, sich über den weiteren Verlauf seiner beruflichen Karriere keine Gedanken mehr machen muss. Mindestens ebenso wichtig wie das Studium selbst sind die sozialen Verpflichtungen für die Studenten. Selbstverständlich wird erwartet, dass man sich in Vereinen und Clubs engagiert. Die Auswahl ist reichhaltig: Sportclubs – in Oxford besonders beliebt: Rudern auf der Themse –, literarische, philosophische und musikalische Vereinigungen. Damit der Studierende sich dem ohne Stress widmen kann, werden die Unbilden des Alltags von ihm oder ihr ferngehalten. Während man in der Vorlesung sitzt, sorgen die collegeeigenen Putzfrauen für standesgemäße Sauberkeit im Zimmer.
Christ Church ist das eindrucksvollste College der Stadt. Der dritte Harry-Potter-Film wurde auch hier gedreht. Die Anlage geht auf ein Kloster aus dem 8. Jahrhundert zurück, 1525 wurde es von einem Kardinal um eine Lehranstalt erweitert. Durch einen mittelalterlichen Kreuzgang betritt man die Universität und erreicht das „Chapter House.“ Dort trafen sich jeden Morgen die Mönche, um sich ein Kapitel (chapter) aus der Bibel vorzulesen. Vom Chapter House betritt man das Quad, den quadratischen Innenhof, der in unterschiedlichen Ausmaßen das Herzstück jedes Colleges ist. Hieran grenzen die Lehrgebäude, ebenso wie die Studenten- und Tutorenunterkünfte. Der Quad von Christ Church College misst gigantische 84 mal 84 Meter. Ein prachtvolles Treppenhaus führt von dort in die Grand Hall.
Den schönsten Blick über die Stadt hat man vom Carfax Tower in der High Street. Dieser ist auch ein guter Ausgangspunkt für einen Einkaufsbummel. An der High Street liegen nämlich nicht nur einige Colleges, wie das Magdalen College mit einer riesigen Parkanlage, sondern auch der Botanische Garten und eine ganze Menge Shops. Gleiches gilt für die parallele Broad Street, in der u. a. auch die Hauptbibliothek der Stadt liegt, die Bodleian Library mit rund sechs Millionen Büchern. Auch hier und in der dahinter liegenden Divinity School wurden Harry-Potter-Szenen gedreht.
Dass Studenten, selbst in Oxford, nicht nur an trockenes Bücherstudium denken, sondern es auch gerne einmal ordentlich krachen lassen, zeigt sich am Wochenende: Da ziehen sie von einem Pub in den anderen. Oxfords bestes Partyviertel liegt nicht in der Innenstadt, sondern im Stadtteil Jericho in North Oxford. In der Little Clarendon Street gibt es Boutiquen, Klamottenläden, Cafés und Kneipen. Ein Klassiker ist „Freuds Art Café“ in der Walton Street.
Eine besondere Eigenart in Oxford: Wer mag, lebt auf einem Hausboot in einem ruhigen Seitenkanal der Themse.