Wahre Geschichte des falschen Kommunisten

Robert Havemanns Einfluss auf die Opposition in der DDR war enorm, sein Haus in Grünheide galt für viele als „andere Republik in der Republik“

Dieses Buch liefert einen Schlüssel. Mit ihm lässt sich die Geschichte der DDR-Opposition in den 70er- und 80er-Jahren als Lernprozess verstehen. Katja Havemann und Joachim Widmann haben den Akten, ihrer eigenen Erinnerung und der Erinnerung des Freundeskreises von Robert Havemann ein wichtiges und spannend zu lesendes Buch abgetrotzt.

Vordergründig beschreiben die Autoren lediglich Robert Havemanns Kampf mit der SED-Bürokratie von 1964 bis zu seinem Tod 1982. Da dieser Kampf um Meinungsfreiheit in der DDR jedoch ohne ein größeres Netzwerk von Unterstützern nicht möglich gewesen wäre, erscheint hier gleichzeitig die Vorgeschichte der Ökologie- und Friedensgruppen der DDR aus den 70er- und 80er-Jahren. Sehr viele der späteren Akteure der späteren Oppositionsmilieus und der Gruppengründungen vom Herbst 1989 waren in Havemanns Kampf um die Freiheit des Wortes involviert oder wurden später von seiner Haltung und seinem Mut inspiriert.

„Für eine bestimmte Gruppe von Menschen war Grünheide [der Wohnort Havemanns bei Berlin] wie Mekka“, zitieren die Autoren ein Interview mit Rainer Eppelmann. Das Grundstück Havemanns in Grünheide sei eine „andere Republik in der Republik“ gewesen. Klaus Jentzsch, Chef der später in der DDR verbotenen Renft Combo, verpasste dieser anderen Republik während eines Besuchs bei Havemann einmal den Namen „Dissiland“. Es ist also kein Zufall, dass auf Havemanns Grundstück im September 1989, lange nach seinem Tod, die einflussreichste Oppositionsgruppe des Herbstes 1989 gegründet wurde: das „Neue Forum“. Katja Havemann gehörte zu den Mitinitiatoren.

Je härter die SED den Antifaschisten Havemann drangsalierte, um so vehementer fragten Dissidenten in der DDR und Intellektuelle außerhalb des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates, was denn ein Antifaschismus wert sein konnte, der einen seiner verdienten Genossen auf diese Weise verfolgte. Die DDR zerstörte in dieser Auseinandersetzung ihr moralisches Kapital, ja sie erledigte sich im Kampf mit Havemann selbst, meinen die Autoren.

Man sei damals noch, als man den „falschen Kommunisten“ aus dem Politbüro den „wahren Kommunismus“ entgegenhielt – so Wolf Biermann in einem ausführlich zitierten Interview –, aber leider einem „echten Irrtum“ erlegen, immerhin jedoch keinem „falschen“. Man habe die DDR im Namen eines ganz anderen Sozialismus für reformierbar gehalten.

„Echte Irrtümer“ – fügte der Dichter an – „sind vielleicht schlimmer als falsche, aber sie haben einen wichtigen Vorteil: Man kann sich korrigieren, sobald man es besser weiß.“ Diese Möglichkeit falle aus, wenn man lüge, statt sich zu irren. Nur der aus Leidenschaft begangene Irrtum ermögliche die Selbstkorrektur, nicht aber die Lüge.

Trotz aller sozialistischen Rhetorik jedoch: Havemann verteidigte bürgerliche Freiheiten. Besser gesagt, er verteidigte zumindest seine Meinungsfreiheit. Ohne große Scheu nutzte er sogar die Medien des verhassten Klassenfeindes im Westen zum Transport seiner Haltungen. Havemann kann insofern ganz zu Recht als der handelnde Erfinder der Menschenrechtsopposition in der DDR gelten. Nicht wenige der Gründer der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ kommen aus seinem Umfeld.

Leider jedoch wird die schier unglaubliche Lebensgeschichte Havemanns nicht in ihrer ganzen Dramatik erzählt: Schließlich löste er sich schon früh in der Weimarer Republik von seiner Nazifamilie, schloss sich der KPD an und gründete eine Widerstandsgruppe („Europäische Union“), die Zwangsarbeiter und Juden mit falschen Papieren versorgte und ihre Flucht aus Deutschland organisierte. Nach dem Krieg wurde aus Havemann zunächst ein stalinistischer Funktionär, ehe er mit dem Regime in Konflikt geriet.

Über der ausgezeichneten Rekonstruktion des dramatischen Kampfes um die Meinungsfreiheit, den Robert Havemann mit Hilfe seiner Freunde der SED lieferte, und der bislang noch nirgendwo beschriebenen Binnengeschichte der DDR-Opposition der 70er- und 80er-Jahre ging leider auch ein etwas analytischerer Zugang zur Geschichte der DDR-Opposition verloren, den erst kürzlich wiederum Wolf Biermann im Spiegel nachlieferte. Er kritisierte im Februar 2003 den „antiamerikanischen Nationalpazifismus“ der gegenwärtigen deutschen Friedensbewegung und ließ erkennen, dass er selbst und sein Freund Robert Havemann solchen Motiven in den 70er- und 80er-Jahren nicht ganz fern standen. Ein weiterer „echter Irrtum“ aus „Dissiland“.

Dieses Buch über Havemann ist das erste, das im Detail seinen Einfluss auf die späteren Oppositionsgruppen sichtbar und die Wandlung sozialistischer Intellektueller zu Menschenrechtsaktivisten begreifbar macht – und auch deshalb unbedingt zu empfehlen. MARTIN JANDER

Katja Havemann/Joachim Widmann: „Robert Havemann oder Wie die DDR sich erledigte“, 430 Seiten, Ullstein Verlag, Berlin 2003, 24 €