: Schönster Tag für Bremen
Das war der Pfingstsonntag: Standing Ovations für die Helden von Werder Bremen und den Bürgermeister auf dem Balkon des historischen Rathauses. Die Fans feiern ihren Erfolg und die Marketing-Profis der Stadt lassen sich die Chance nicht entgehen
aus bremen Klaus Wolschner
Ein brechend voller Marktplatz durfte am Pfingstsonntag zum letzten Mal „Ailton oho, Ailton ohoho“ singen. Als erster „unserer“ Helden war er kurz vor drei Uhr ins Rathaus gekommen, als erster verließ der Brasilianer gegen 15.30 Uhr den Balkon, auf dem sich Mannschaft und Bürgermeister im Jubel der Werder-Fans sonnten. Die taz ergatterte das letzte Autogramm von Ailton (siehe nebenstehendes Faksimile), am Montag schon saß er im Flugzeug nach Brasilien – vier Wochen „kein Fußball, nur schlafen und mit der Familie essen.“ An die Weser wird er vermutlich nur als Gegner zurückkommen. Das sind die rauen Sitten des Profi-Fußball, die Fans schienen sich daran nicht zu stören. Zum zweiten Mal kamen sie zu Tausenden und durften „We are the champions“ feiern. „Einer der schönsten Tage, die wir überhaupt in Bremen erlebt haben“, rief Bürgermeister Henning Scherf den Fans vom Balkon aus zu: „Ich kann gar nicht satt davon werden.“
Ovationen der Bremer, die den Marktplatz dicht gedrängt füllten, Ovationen ohne Ende. Und immer wieder: „Eins kann uns keiner nehmen und das ist die Lust auf Werder Bremen.“ Die, die es ins Rathaus geschafft hatten, betätigten sich als Autogramm-Jäger. Mancher mausgraue Anzug erschien da mit dem kleinen grün-weißen Aufkleber auf der Wange, mancher amtierende und mancher ehemalige Staatsrat mischte sich unter das Jubel-Publikum. Und steht da nicht mein Schulleiter, in der ersten Reihe hinter dem Absperr-Seil?
Seit zwei Stunden warten wir schon hier“, sagt er. Nur so kriegt man einen Platz in der ersten Reihe, selbst wenn man Schulleiter ist. In der ersten Reihe gab es mehr Nähe zu den Helden, vielleicht den historischen Luftzug, wenn sie dicht vorbeieilten. Wer kann sich da der Versuchung entziehen, doch einmal einen echten Fußballer-Heldenrücken anerkennend zu beklopfen, wenn der schon zum Anfassen nah kommt? Ein erhebender Moment. Ein Ersatz und eine Fortsetzung des Berühren-Dürfens ist das Autogramm. Es dokumentiert die Nähe, ist auch nachher überall vorzeigbar. Einige Dutzend Fußball-Kinder waren von ihren Vätern ins Rathaus eingeschleust worden und hatten nach den zwei Stunden Pokalsieg-Feier ihr Trikot voll mit den unlesbaren Zeichen. Noch besser als das Autogramm sind natürlich die Fotos, Familienfotos mit den Helden: Dutzende von Mädchen und auch erwachsenen Frauen nutzten die Chance, sich von einem der gestylten jungen Männer, unseren sportlichen Helden, die salopp ihren Schlips um den Kopf gebunden hatten, in den Arm nehmen zu lassen – eine lange Sekunde, bis die Digitalkamera ausgelöst hat. Hier ein Foto mit Borowski, da ein Foto mit Micoud, ihr Sieg ist auch unser Erfolg, das Foto beweist es.
Auch Ex-Werder-Manager Willi Lemke genoss es sichtlich, dass sein Name noch einen ganz besonderen Klang hat in der Fan-Gemeinde, zu der an diesem Tag ganz Bremer zusammenzuschmelzen schien. Eigentlich volksnaher und populärer als die Allofs und die Borns. Er machte den Eindruck, als wolle er in zwei Stunden Werder-Meister-Kraft tanken, als Wiedergutmachung für fünf Jahre frustrierender Maloche als SPD-Bildungssenator.
Mit dem Sonderzug war die Mannschaft aus Berlin zurückgekommen. Als der ICE gegen 13.30 Uhr auf Gleis 10 im Hauptbahnhof einfuhr, prangte das Werder-„W“ auf der Lokomotive. Auch die Bahn hatte offenbar die Marketing-Chance erkannt: So preiswert ist bundesweite Präsenz auf allen Fernseh-Kanälen sonst nicht zu haben. Mit mehreren Straßenbahnzügen – gespritzt in den Vereinsfarben grün-orange und mit der Aufschrift „Werder-Express“ – ging es dann weiter im Schritttempo ins Bremer Rathaus. Dort hatten die 30.000 Fans lange warten müssen. Schon der Zug war mit fast einer halben Stunde Verspätung angekommen. Erst war Pekka Lagerblom zu spät gekommen, dann hatte der Lokführer in Hannover einen Stopp einlegen müssen, weil Ex-Vorstandsmitglied Klaus-Dieter Fischer unterwegs Appetit auf Currywurst bekommen hatte.