: Genossen ohne Kohle
Viele Hausprojekte, besonders in Friedrichshain, sind von der Kündigung bedroht. Denn der Senat finanziert keine Selbsthilfesanierung mehr
von JESSICA CLAIRE REISS
Eine linke Geschichte: Punker und Autonome, Schwule und Politfreaks, alles was die Szene zu bieten hatte, war in der Mainzer Straße im Bezirk Friedrichshain Anfang der 90er-Jahre vertreten. Jede Gruppe hatte „ihr“ besetztes Haus. „Nach der Räumung der Mainzer Straße im November 1990 verteilten sich die Besetzer auf andere Viertel, Straßen und Häuser“, erinnert sich Andreas Baier von der Selbstverwalteten Ostberliner Genossenschaft (SOG). Auch noch als Mitte der 90er-Jahre die ersten besetzten Häuser zum Verkauf standen, schien alles seinen Gang zu gehen. Einige, wie die Bewohner der Kreutziger Straße 23, gründeten eine Genossenschaft und kauften ihr Heim. Die meisten Häuser aber gingen in den Besitz „normaler Eigentümer“ über.
Diesen Projekten droht nun das Aus. Denn rund die Hälfte der Friedrichshainer Hausprojekte ist noch nicht saniert. Das aber wollen die Eigentümer nun nachholen. „Früher konnten Hausprojekte etwa über Genossenschaften ihre Häuser kaufen und dann mit ‚baulicher Selbsthilfe‘ sanieren“, sagt Baier. Bei diesem Programm wurde rund ein Drittel der Baukosten direkt mit Mitteln des Landes bezuschusst, ein weiteres Drittel über ein zunächst zinsfreies und später zinsgünstiges Darlehen der Investitionsbank Berlin gefördert. Das restliche Drittel musste das jeweilige Projekt durch Eigenleistungen aufbringen.
Seit der Senatsentscheidung, ab 2003 im Rahmen des Programms für „soziale Stadterneuerung“ Gelder nur noch in Ausnahmefällen freizugeben, steht auch die bauliche Selbsthilfe und damit viele Hausprojekte ohne Zukunft da. Zwar sucht die vom Land Berlin initiierte „Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung“ (Asum) als vermittelnde Instanz Einvernehmlichkeit zwischen Mieter und Eigentümer herzustellen – doch mit fragwürdigem Erfolg. Denn viele Eigentümer setzen auf die Kündigung der Mieter. Knut Beyer, in der Asum Samariterviertel, konstatiert: Von den insgesamt neun Hausprojekten in seinem Kiez seien allein drei „akut bedroht“. Da das Land sich „verstärkt seiner finanziellen Verantwortung entzieht“, müssten Sanierungen frei finanziert werden – eine zu hohe Hürde für viele Hausprojekte.
Doch damit nicht genug: Für die meisten Eigentümer sind Hausprojekte ein rotes Tuch. Sie möchten das Gebäude eher luxussaniert in teure Eigentumswohnungen umwandeln, statt es projektgerecht zu sanieren. Zudem fürchten viele den unorthodoxen Wohnstil und den Organisationsgeist der Bewohner.
Als eingetragene Vereine führen die Hausprojekte Veranstaltungen durch. So zum Beispiel der „Jessica Proll e. V.“ in der Jessnerstraße 41. Hier leistet der Verein Kulturarbeit. Die Vereinskneipe „Supamolly“ ist im Kiez ein Begriff. Neben ehrenamtlicher Arbeit, Kaffee und Kuchen am Sonntag, finden regelmäßig Konzerte und Partys statt. Vom Herbst bis zum Frühjahr lädt „Jessica Proll“ zur B-Gala, „einer Kleinkunstbühne mit improvisiertem Theater“.
Darüber hinaus organisieren viele Hausprojekte wöchentlich oder sogar täglich eine „Vokü“, eine Volksküche für wenig Geld, oder haben so genannte Food-Koops eingerichtet, bei denen man einmal in der Woche Ökogemüse und Biobrot bestellen kann.
Während klar ist, dass die Gebäude in den Sanierungsgebieten in den kommenden Jahren renoviert werden müssen, steht eine Lösung des Konflikts aus Sicht der Hausprojekte aus. Knut Beyer setzt auf die Verhandlungsbereitschaft von Eigentümer und Mieter, aber auch auf das Land: Der Senat, so Beyer, müsse sicherstellen, dass „die Anmeldung des Eigenbedarfs erst nach zehn bis fünfzehn Jahren möglich ist“, um den Projekten auch nach einer Sanierung mit dem Eigentümer langfristige Perspektiven zu bieten.
Am 12. Juli feiern zehn Hausprojekte aus Friedrichshain in der Rigaer Straße ein Straßenfest. Jessica Proll e. V. feiert am 16. August in der Jessnerstraße 41