Auslieferung jetzt möglich

Der Europäische Haftbefehl erleichtert Gerichtsverfahren gegen Deutsche in EU-Staaten. Zu ihrem Schutz soll es zahlreiche Ausnahmeregeln geben

von CHRISTIAN RATH

Der „Europäische Haftbefehl“ ermöglicht erstmals die Auslieferung von Deutschen in andere EU-Staaten und erleichtert die schon lange mögliche Auslieferung von Ausländern. Heute wird die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) beschließen, der der taz vorliegt. Nach EU-Vorgabe muss das deutsche Recht bis Jahresende angepasst sein.

Europäischer Haftbefehl ist der plakative neue Begriff für ein Auslieferungsersuchen innerhalb der EU. Die Einführung wurde im Juni vorigen Jahres im EU-Ministerrat einstimmig beschlossen. EU-Staaten sind künftig verpflichtet, Personen auszuliefern, denen in einem anderen EU-Staat der Prozess gemacht werden soll oder die bereits verurteilt wurden. Bisher unterlagen solche Auslieferungen dem politischen Ermessen.

Nur im Fall konkreter Hindernisse kann Deutschland oder ein anderer EU-Staat künftig die Auslieferung verweigern. Dazu gehört etwa die Immunität von Abgeordneten oder die bereits erfolgte Strafverfolgung im Heimatstaat. Im Prinzip kommt es auch darauf an, dass die Straftat in beiden Staaten strafbar ist. Nur bei Straftaten, die zu einer Gruppe von 32 wichtigen Deliktsbereichen gehören – vom Mord über Drogenhandel bis zur Geldwäsche – wird auf diese Voraussetzung verzichtet. Steuerdelikte und Demonstrationsstraftaten wie Landfriedensbruch fallen nicht darunter. Hier ist nach wie vor zu prüfen, ob die konkrete Tat in beiden Staaten strafbar wäre. Wenn ja, muss ausgeliefert werden.

Die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger war bis zum Jahr 2000 grundsätzlich verboten. Dann wurde das Grundgesetz geändert und die Auslieferung an andere EU-Staaten auf gesetzlicher Grundlage erlaubt. Ein entsprechendes Gesetz wird mit den Regeln über den Europäischen Haftbefehl jetzt erstmals geschaffen.

Keine Haft in Helsinki

Zur Haftverbüßung werden deutsche Staatsbürger allerdings nur ausgeliefert, wenn die Betroffenen damit einverstanden sind. Ansonsten wird die Haftstrafe in Deutschland vollstreckt. Soll der Deutsche für ein Ermittlungs- und Gerichtsverfahren ausgeliefert werden, so kann Deutschland die Bedingung stellen, dass der Betroffene zur Haftverbüßung wieder nach Deutschland zurückgeschickt wird.

Eine Auslieferung kann auch vermieden werden, wenn die deutsche Staatsanwaltschaft wegen der angeblich im Ausland begangenen Tat ein eigenes Ermittlungsverfahren einleitet. Zypries’ Gesetzentwurf hält dies „regelmäßig“ für sinnvoll. Die Auslieferung bleibt auch dann blockiert, wenn das deutsche Ermittlungsverfahren später eingestellt wird. Selbst die ausdrückliche Weigerung, ein Ermittlungsverfahren aufzunehmen, soll die Auslieferung verhindern. So wurde durch die Hintertür das Prinzip wieder eingeführt, dass nur wegen Taten ausgeliefert wird, die auch in Deutschland strafbar sind.

Ausländer, die sich hier in Deutschland aufhalten, sind nicht so gut geschützt. Hier wird in aller Regel eine Auslieferung erfolgen. Selbst bei Verurteilungen in Abwesenheit ist die Überstellung ins Ausland möglich, wenn der Betroffene von dem Prozess zumindest informiert worden war. Fehlt es selbst daran, muss der ersuchende Staat zumindest zusichern, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens geprüft wird.

Kritiker der neuen Regelung verweisen gerne darauf, dass die EU bald 25 Mitglieder umfasst und nicht alle Staaten dabei über rechtsstaatliche Traditionen verfügen. In wirklich problematischen Fällen können die deutschen Oberlandesgerichte, die für Auslieferungs-Entscheidungen zuständig sind, aber immer noch ein Veto einlegen, weil sonst „vorrangige Rechtsgrundsätze der Europäischen Union“ verletzt würden. Gemeint sind hier insbesondere die Grundrechte der Betroffenen und der Anspruch auf ein faires Verfahren.

Dennoch unterzeichneten im Mai rund 120 deutsche Strafrechtslehrer einen Appell an den Bundestag, den EU-Rahmenbeschluss nicht in deutsches Recht zu übernehmen. Die gegenseitige Anerkennung der Justizentscheidungen in anderen EU-Staaten unterlaufe die „Garantien bürgerlicher Freiheit“. Initiiert wurde die Resolution vom renommierten Münchener Rechtsprofessor Bernd Schünemann.

Auch der Republikanische Anwaltsverein rügte jüngst das Vorhaben auf einer Berliner Tagung. Um ein rechtsstaatliches Verfahren im Ausland zu gewährleisten, seien europaweite Verfahrensgarantien erforderlich. Hierzu gehöre das Recht auf unentgeltlichen Beistand von multinationalen Strafverteidigerteams.