Nördlich und südlich der Alpen

Ausfälle wider die garstigen Germanen haben eine lange Geschichte in Italien. Neu ist das undiplomatische und ungehobelte Auftreten der politischen Repräsentanten

Worüber regen sich die Leute eigentlich auf? Der idealtypische Deutsche als geborener Lageraufseher, die Bewohner des wilden Germanien rülpsende Bestien – derlei Klischees, über die sich die deutsche Öffentlichkeit derzeit so erregt, werden in Italien quer durch alle politischen Lager von jeher gerne gepflegt. Selbst die „Germania“ des antiken Autors Tacitus findet sich in den Buchhandlungen der Halbinsel noch immer auf den Stapeln mit den Bestsellern.

Schon Tacitus wunderte sich, fast wortgleich wie der heutige Staatssekretär für Tourismus, „welch ungeheure Mengen Bier“ die Bewohner des Nordens „zu saufen imstande sind“. Schon bei Tacitus mischte sich in die kulturelle Überheblichkeit des zivilisierten Südländers freilich auch Bewunderung und Angst. Vor allem die „Tugendhaftigkeit“ der germanischen Frauen hatte es dem Autor angetan, und gelegentlich blitzt in seinem Text die Vorahnung auf, dass die Wilden aus dem Land nördlich der Alpen den dekadenten Römern eines Tages den Rang ablaufen könnten.

Gerade dieses latente Unterlegenheitsgefühl machte die Italiener besonders empfindlich gegenüber Ratschlägen aus dem Norden. So zeigte sich selbst die italienische Arbeiterbewegung in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg von den Belehrungen durch den deutschen SPD-Schulmeister August Bebel genervt – was sich bei einigen Vertretern der italienischen Sozialisten bis zu dem Glauben steigerte, nur ein Krieg gegen das Deutsche Kaiserreich könne die Zivilisierung Europas voranbringen.

Das 20. Jahrhundert machte aus dem Vorurteil ein wohl begründetes Urteil, zumindest in Nord- und Mittelitalien, wo die Bevölkerung die Schrecken der deutschen Besatzung seit 1943 am eigenen Leib erfahren durfte. Ein Leiden übrigens, das in Deutschland nie so recht ernst genommen wurde: Die deutschen Urlauber fuhren seit den Fünfzigerjahren ja gerade deshalb nach Italien, weil sie sich im Land Mussolinis – anders als etwa in Frankreich – nicht ständig für ihre Vergangenheit rechtfertigen mussten.

Ausgerechnet jener Ministerpräsident, der mit der Regierungsbeteiligung der Alleanza Nazionale den antifaschistischen Grundkonsens der Ersten Republik aufgekündigt hat, verglich einen Deutschen nun erstmals öffentlich mit einem Nazi. So deplatziert Ort und Zeitpunkt seiner Äußerung auch waren: Mit der Bemerkung, das sei doch bloß Ironie, hatte er nicht völlig Unrecht. Denn ganz so ernst, wie es bisweilen klingen mag, meinen es die Italiener mit ihrem Klischee vom garstigen Deutschen schon längst nicht mehr.

Bisher war gerade in Italien, dem Land der geschmeidigen Diplomatie und der perfekten Umgangsformen, allerdings klar: So etwas kann man als Politiker nicht öffentlich sagen. Doch seit Berlusconis Amtsübernahme hat sich, gerade bei den Ministern der Lega Nord, eine geradezu deutsche Ruppigkeit des Tons eingebürgert. Wenn Berlusconi irgendwann scheitern sollte, dann wahrscheinlich daran – dass die Italiener den Eindruck haben, er vermöge für ihr Land keine bella figura zu machen.

RALPH BOLLMANN