Freie Fahrt auf dem Abstellgleis

Gleichstellung ist out, Teilzeit ist in. Gestern beschloss das Kabinett die „Allianz für die Familie“: Kommunen und Wirtschaft sollen Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeiten organisieren – für Frauen. Männer dürfen weitermachen wie bisher

aus Berlin HEIDE OESTREICH

„Teilzeit“, das ist ein dehnbarer Begriff. Er kann zementieren, dass Frauen sich um die Kinder kümmern und nebenbei ein bisschen arbeiten, weil „Anregung von außen ja auch gut tut“, wie Liz Mohn es gestern so hübsch ausdrückte. Er kann auch bedeuten, dass Männer und Frauen je etwa 30 Stunden arbeiten und sich neben Tagesmüttern oder Horten gemeinsam um Kinder und Haushalt kümmern.

Welche dieser Varianten die Regierung im Sinn hatte, als sie gestern die „Allianz für Familien“ verabschiedete, ließ sie vorsichtshalber im Unklaren. Zusammen mit der Bertelsmann-Stiftung, für die Liz Mohn gestern sprach, will Familienministerin Renate Schmidt in den nächsten Monaten eine Art konzertierte Aktion zwischen Politik, Unternehmen und Gewerkschaften auf die Beine stellen. Statt eines Gleichstellungsgesetzes, wie von ihrer Vorgängerin Bergmann avisiert, will sie einen Mentalitätswechsel in Gang bringen. Ökonomischer Unsinn sei es, die Frauen erst zu qualifizieren und – sobald sie Mütter werden – nach Hause zu entlassen. Zumal immer mehr Frauen das auch finden und das Mutterwerden deshalb lieber auslassen. Das Problem ist: Solche Weisheiten kann man auch von der Handelskammer oder dem Arbeitgeberverband hören. Sie werden mit Freuden für flexiblere Arbeitszeiten für die Damen werben. Strahlend erklärt Liz Mohn, dass ihre Sekretärinnen auch Teilzeit arbeiten. Nur „eine richtige Vorstandssekretärin, die muss natürlich durchgehend ansprechbar sein“, ist auch Mohns Überzeugung. Eine Allianz für unqualifizierte Teilzeitarbeit plus ein bisschen mehr Kinderbetreuung? Da wird die Regierung viele Mitstreiter finden.

Das ist natürlich nicht Renate Schmidts Absicht. „Das Ziel sind große, also vollzeitnahe Teilzeitstellen“, so Schmidt gestern, „und dass die Familienarbeit zwischen Frauen und Männern aufgeteilt wird.“ Aber „das wird aufgrund der Mentalitäten in Deutschland nicht ganz einfach sein.“ Nur gibt sie in ihren Vorhaben auch kaum einen Impuls in diese Richtung. Statt die Vorzüge von weniger Erwerbsarbeit für Väter zu preisen, preist sie die von Teilzeit plus Kinderbetreuung für Mütter.

Nun soll also die Allianz für Familie „familienbewusste Personalplanung“ plus Kinderbetreuungsbedarf analysieren, vor allem vor Ort in den Kommunen. Auch Gewerkschaften und Unternehmerverbände machen mit. Parallel werden Betriebe und Beschäftigte nach ihren familienpolitischen Wünschen und Anstrengungen befragt. 2004 soll ein Konvent das Ganze auswerten und verbindliche Pläne erstellen, deren Einhaltung überwacht wird. Das enspricht, wenn es denn tatsächlich stattfindet, teilweise dem von Bergmann geplanten Gesetz. Es fehlt allerdings der gleichstellungspolitische Aspekt: Sollen mehr Frauen in höhere Positionen, dann muss sich an der Verteilung von Berufs- und Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern etwas ändern. Eine Allianz von Männern und Frauen ist vorerst nicht vorgesehen.