Protest im Iran von Polizei erstickt

In Teheran bestimmen am oppositionellen Aktionstag die Sicherheitskräfte das Straßenbild. Eine kleine Kundgebung an der Universität wird aufgelöst. Es fehlt eine Strategie, um den weit verbreiteten Unmut der Bevölkerung zu organisieren

Die Organisatoren des Protestes sitzen hinter Gittern oder sind eingeschüchtert

aus Teheran PETER LEWALD

Es waren Polizei und Sicherheitskräfte, die am Mittwoch den Tag und die Nacht in Teheran gewonnen haben. Die angekündigten Proteste und Demonstrationen, mit denen der Jahrestag der Massendemonstrationen aus Anlass der Schließung einer beliebten reformorientierten Zeitung vor vier Jahren begangen werden sollten, fanden nicht statt.

Für den Morgen war eine Demonstration vor der Vertretung der Vereinten Nationen im Zentrum der Stadt angekündigt, die aber von der Polizei verboten wurde. Sicherheitsbeamte, die in der Nachbarschaft aufgezogen waren, zerstreuten jeden Versuch einer Menschenansammlung.

Der iranische Sicherheitsapparat hatte sich auf den Jahrestag weit besser vorbereitet als die Demonstranten. In den vergangenen Wochen war es bereits zu kleineren Kundgebungen und Auseinandersetzungen in Teheran und einer Reihe anderer iranischer Städte gekommen, auf die die Sicherheitskräfte mit einer Verhaftungswelle reagierten. Die führenden Organisatoren des Protestes sitzen seither hinter Gittern oder sind eingeschüchtert. Die genaue Zahl der Festnahmen ist nicht bekannt. Die Angaben schwanken zwischen 800 und 4.000.

Der Empfang der Fernsehsender von Exil-Iranern im US-amerikanischen Kalifornien, die über Satellit auch in den Iran ausgestrahlt werden, wurde am Mittwoch blockiert. Diese Sender hatten bei den Protesten der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt, indem sie Ort und Zeitpunkt von Demonstrationen bekannt gaben.

Die Universität von Teheran, immer wieder Ausgangspunkt von Protesten, war am Mittwoch ebenfalls geschlossen, und die studentischen Wohnheime waren bereits vor einigen Tagen vorübergehend geräumt worden. Sogar der Basar im Süden der Stadt, allgemein eine Hochburg der Sympathisanten der Konservativen, musste früher schließen, um unkontrollierbare Menschenansammlungen zu vermeiden. Die aufmerksamen Augen der Sicherheitskräfte waren überall zu spüren. Ausländische Journalisten waren schriftlich davor gewarnt worden, an Demonstrationen teilzunehmen.

Der Straßenverkehr in Teheran war am Abend deutlich dichter als üblich. Zahlreiche Unterstützer des Protests fuhren ins Zentrum, um sich möglichen Demonstrationen anzuschließen oder zumindest zuzuschauen. Vor dem Universitätsgelände fand für wenige Minuten eine Protestkundgebung statt, auf der Parolen für mehr Demokratie gerufen wurden, die aber schnell von der Polizei mit dem Einsatz von Tränengas aufgelöst wurde. Es soll in der Nacht zu weiteren Verhaftungen gekommen sein, die aber nicht bestätigt werden konnten.

Die Protestbewegung steht sichtlich unter Druck. Ihre wichtigsten Organisatoren sind verhaftet oder haben Angst. Es fehlt sowohl an einer wirkungsvollen organisatorischen Struktur wie an einem klaren politischen Programm. Die Forderungen reduzieren sich auf allgemeine Parolen für Demokratie und Freiheit, es fehlt aber eine politische Strategie, mit der es gelingen könnte, den weit verbreiteten Unmut in allen Bevölkerungsgruppen zu einer Bewegung zu einen.

Die Unruhen haben in der Vergangenheit oft ihren Ausgangspunkt in studentischen Aktionen gehabt, denen sich häufig andere Jugendliche und Vertreter des städtischen Mittelstandes anschlossen. Aber es existiert kein Forum, in dem diese spontane Solidarität in eine gemeinsame Strategie umgesetzt werden kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gewerkschaften und anderen gesellschaftliche Organisationen unter der direkten Kontrolle der Konservativen stehen.

Die Studenten, der Hauptmotor des Protests, haben mit der Reformbewegung und dem als Reformer angetretenen Präsidenten Mohammed Chatami öffentlich gebrochen. Sie sind frustriert über das langsame Tempo der Liberalisierung und werfen den Reformern vor, nur das Feigenblatt für die Herrschaft der konservativen Mullahs abzugeben. Die Reformer ihrerseits haben in der Vergangenheit oft durch ihre allzu zögerliche Haltung und das Vermeiden jeglicher offenen Konfrontation mit den Konservativen enttäuscht. So fehlt die Verbindung, mit der der Protest auf der Straße auch direkten Einfluss auf die Debatten und Auseinandersetungen innerhalb des Machtapparates nehmen kann.

Dennoch bleibt die Situation im Iran labil. Der vergangene Mittwoch hat gezeigt, dass das Potential der Unzufriedenen sehr groß ist und es zu Aktionen kommen kann. Es fehlt jedoch die Perspektive, wie aus Unmut Politik werden kann.

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