Posse um die „Internationale“

Musik und Arbeiterbewegung passen nicht zusammen: Theaterorchester weigert sich, auf einer Betriebsversammlung bei Volkswagen die Arbeiterhymne zu intonieren

BERLIN taz ■ Jetzt sagen alle, es war eigentlich eine schöne Idee. Heute hält Volkswagen im hessischen Baunatal eine Betriebsversammlung ab, und auf Initiative des Betriebsrats tritt dort das Orchester des Staatstheaters aus dem benachbarten Kassel auf. Theaterleiter Christoph Nix, der sich während seiner fünfjährigen Intendanz als Revoluzzer inszenierte, einigte sich mit VW auf höchst Politisches: Gegeben werden Ausschnitte aus Bernsteins „West Side Story“ (Rassismus!), Bizets „Carmen“ (Frauenunterdrückung!) – und die „Internationale“ (Arbeiterbewegung!).

Mit der „Internationale“ fingen die Schwierigkeiten an: Das Notenmaterial für eine sinfonische Version musste Nix von der Dresdner Semperoper ausborgen, im Westen war es nicht aufzutreiben. Diese Mühe hätten sich die Sachsen sparen können. Denn die Musiker mochten das mehr als 130 Jahre alte Werk nicht spielen. Sie hielten es schlichtweg für „zu schlecht“ – so Intendant Nix. Da müsse man sich gar nicht wundern, „warum so wenige Arbeiter bei uns in die Oper gehen“.

Nicht gegen die „Internationale“ hätten sie rebelliert, nur Fragen habe man gestellt, sagt Orchestervorstand Klaus-Dieter Ammerbach: Ob das Konzert eine Veranstaltung des Theaters oder eine von VW sei? Und der Wunsch nur eine fixe Idee des Intendanten? Oder ob auch Betriebsrat und Werksleitung danach verlangten? Und ob jene Instrumentalisten, die einst selbst im Kommunismus lebten, den Einsatz verweigern könnten?

Ein klärendes Gespräch, klagen die Musiker, habe niemals stattgefunden. Manch einer im Theater argwöhnt obendrein, der Skandal komme dem Intendanten gerade recht. Schließlich endet sein Vertrag im Sommer, und Nix hat bislang noch jeden Wendepunkt seiner Karriere mit einem Paukenschlag versehen.

Bei VW hält man sich vom Theaterdonner fern. Es handele sich um eine „interne Auseinandersetzung im Staatstheater“, sagt Betriebsrat Jürgen Stumpf indigniert. Geschluckt habe das Management nicht wegen der „Internationale“, sondern weil die mehr als 5.000 Zuhörer das zwanzigminütige Konzert als Arbeitszeit bezahlt bekommen.

Zu hören bekommen sie nun die kaum anspruchsvollere „Marseillaise“. Das sei auch „ein Lied über Revolution und Freiheit“, sagt Nix. Und Orchestervorstand Ammerbach versichert, die Musiker würden „versuchen, sich anständig zu verhalten“. RALPH BOLLMANN