: Die Mauer im Park
Der Park auf dem Gleisdreieck sollte ein Raum werden, den die Bürger mitgestalten und mit dem sie sich identifizieren. Daraus wird wohl nichts
VON UWE RADA
Gleise, wohin das Auge reicht. Droben die Hochbahn der Berliner Verkehrsbetriebe, die gleich nach dem Überqueren des Landwehrkanals durch ein hell erleuchtetes Gleistor verschwindet, über dem steht in Riesenlettern BVG. Daneben überquert die Hochbahn der U 2 den Landwehrkanal, sie wird sich mit der ersten Bahn gleich auf dem Bahnhof Gleisdreieck treffen. So zeigt sich die einstige Industriemetropole vom „Anhalter Steg“ aus, einer Fußgänger- und Fahrradbrücke, die an der Stelle gebaut wurde, an der einst die Anhalter Bahn den Kanal überquerte, bevor sie ihre Fahrgäste am Anhalter Bahnhof in die Stadt entließ. In entgegengesetzter Richtung liegen auch Gleise. Sie führen entlang des Museums für Verkehr und Technik hinein in einen Park, der schon vom Namen her seine verkehrsgeschichtliche Bedeutung nicht leugnet: Park auf dem Gleisdreieck.
Gleisdreieck, das war in Berlin lange Zeit ein Symbol für Verborgenes, ein unbekannter Ort mitten in der Stadt. Das 62 Hektar große Gelände zwischen der Kreuzberger Möckernstraße im Osten, der Schöneberger Flottwellstraße im Westen, dem Landwehrkanal im Norden und den Yorckbrücken im Süden war zunächst von Mauern umgeben und unzugänglich. Nach der Wende stampfte Daimler dort sein Logistikzentrum aus dem Boden, um am Potsdamer Platz die „Daimler-City“ bauen zu können. Die Mauern waren höher geworden, das Gelände noch unzugänglicher, Sicherheitszone. Als Ausgleich hat der Senat dem Konzern den Park abgerungen. Dank dieser Vereinbarung wird das Gelände nun denen gegeben, denen es gehört – den Bürgern.
Um das mit den Bürgern zu unterstreichen, hat der Senat tatsächlich keine Mühe gescheut. Bürgerbeteiligung steht, auch in Zeiten klammer Kassen, hoch im Kurs. Je größer die Beteiligung, desto größer die Identifikation, desto geringer die Folgekosten. Also wurde im Internet ein Online-Dialog moderiert. In der realen Welt begleiteten die Büros „STADTplus“ und „ts redaktion“ die Bürgerbeteiligung mit zahlreichen Veranstaltungen und Vor-Ort-Erkundungen.
Dass der künftige Park seine Geschichte als Bahnstandort nicht abschütteln dürfe, war schnell Konsens. Doch die Vorstellungen der Bürger, Initiativen und Nutzer gingen weiter. Aus der vorerst letzten großen Parkplanung (vor der Entwicklung des Flugfeldes Tempelhof) sollte tatsächlich ein Bürgerpark werden, einer, der den Namen auch verdient: geplant von Bürgern und für die Bürger. Ein frommer Wunsch?
Ortsbesichtigung. Die „grüne Villa“, ein paar gestapelte Container, in denen die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein kleines Besucherzentrum untergebracht hat, ist geschlossen. Schon um 17 Uhr, drei Stunden vor der Zeit. Also ohne Führung aufs Gelände. In der Dämmerung ist der Park mehr noch als am Tage Baustelle. An der Möckernstraße werden die Böschungen befestigt, bald werden Wege angelegt werden und, wie Norbert Rheinländer von der Bürgerinitiative Gleisdreieck klagt, auch Bäume gefällt werden. 300 von 900 Bäumen auf dem Kreuzberger Teil des Parks sollen weg, sagt er; darunter 27, deren Stämme so dick sind, dass sie unter die Baumschutzverordnung fallen. Mit Bürgerbeteiligung, meint Rheinländer, habe das nicht viel zu tun. Vielmehr wolle der Senat einen pflegeleichten Park. Statt der Wiesen, die viele Anwohner im Beteiligungsverfahren forderten, soll viel Rasen entstehen. Der lässt sich besser mähen, sagt Rheinländer.
Ein Wort, das er gerne benutzt, heißt Verantwortungsgemeinschaft. Das „Atelier Loidl“ hat einen anderen Slogan: die grüne „Pause in der Stadt“. Damit haben die Landschaftsarchitekten den Wettbewerb für das Gleisdreieck gewonnen. Um Sichtachsen geht es ihnen, um neue Wege zwischen Ost und West, Nord und Süd, um eine neue Fußgänger- und Fahrradbrücke. Die soll die Schneise überbrücken, die die ICE-Trasse zwischen Gleisdreieck und Landwehrkanal in den Park schlägt und ihn in den Kreuzberger Ostteil und den Schöneberger Westteil trennt. Gegen Bürgerwillen – also Community-Gardens, Grillplätze, Sport und versteckte Orte – hat der Loidl-Entwurf nichts. Nur soll dieser Bürgerwillen nicht mitten auf dem Park stattfinden, sondern am Rande.
Das ist die Planung von oben, der Rheinländer so gerne seine Verantwortungsgemeinschaft entgegengesetzt hätte. Denn mit dem Park von morgen, ist er 2010 erst mal fertiggestellt, wird das Atelier Loidl nichts mehr zu tun haben. Die Bürger aber schon. Bürger, die sagen können: „Das ist unser Park“, die kümmern sich. Ist es nicht mehr ihr Park, kümmern sie sich weniger. Das ist die Philosophie der Verantwortungsgemeinschaft.
Der Senat hat die Utopie vom Bürgerpark offenbar schon aufgegeben. Seine Philosophie ist der Rasenmäher.
Ernüchtert von der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist auch Thies Schröder. Den Entwurf des Ateliers Loidl findet er nicht schlecht, andere Entwürfe aber seien offener, prozessualer gewesen. Man hätte auf dem Gleisdreieck auch ein hundertprozentiges bürgerschaftliches Projekt realisieren können, glaubt er. Dann hätten die Bürger auch hundert Prozent Verantwortung getragen. Nun stellt sich für Schröder, dessen „ts redaktion“ das Bürgerbeteiligungsverfahren moderiert hatte, die Frage: Wird der Park angenommen?
Die Frage ist berechtigt. Schon im Beteiligungsverfahren haben sich zwei Welten aufgetan. Die Kreuzberger Welt auf der östlichen Seite, die Schöneberger auf der westlichen. Hier Engagement, Initiative, Bürgerinitiativen, die alte Kreuzberger Mischung. Dort Passivität, Armut, Drogen, Prostitution, Problemquartier. Berechtigt ist nicht nur die Frage, wie enttäuscht die Kreuzberger über das Wettbewerbsergebnis sein werden. Im Raum steht auch die Frage, ob die Bürger auf der Schöneberger Seite die Philosophie der Verantwortungsgemeinschaft mitgetragen hätten.
Eine Umrundung des Geländes zu Fuß zeigt die Zweiteilung des Parkgeländes schon heute. An der Kreuzberger Möckernstraße ist es leicht, die Parkbaustelle zu betreten. Schon im Sommer nutzten Anwohner die verbliebenen Wäldchen, auch ein Beachvolleyballplatz ist entstanden. Auf der Schöneberger Seite finden sich kaum Zugänge. Wer dennoch einen entdeckt, stellt fest: Hinter den Mauern ist alles platt. Logistikzentrum-Folgelandschaft.
Die Spaltung des Parks in den östlichen und den westlichen Teil wird in Zukunft noch dadurch unterstrichen, dass für die Fußgänger- und Fahrradbrücke über die ICE-Trasse vorerst kein Geld da ist. Je weniger aber sich die Parknutzer mischen, je weniger Durchquerung stattfindet, desto größer wird die Gefahr einer weiteren Spaltung. Das Szenario steht im Raum: In Kreuzberg erobert sich die Alternativszene Wäldchen und sogar den Rasen. In Schöneberg sind es die Dealer. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis im Osten die Forderung aufkommt, auf die Fußgänger- und Fahrradbrücke ganz zu verzichten.
Über dem „Anhalter Steg“ rauscht die nächste U-Bahn Richtung Osten. Gleich wird auf dem Bahnhof Gleisdreieck ein Zug der U 2 in Richtung Pankow fahren. Auch wenn die Anhalter Bahn längst Geschichte ist – als Verkehrsknoten ist das Gleisdreieck Gegenwart pur. Nirgendwo sonst in der Stadt kreuzen sich so viele Wege aus Ost und West, Nord und Süd. Ob das für den gleichnamigen Park auch einmal gilt, muss sich erst noch zeigen.
Dem Thema Zukunft der Parks widmet die Zeitschrift Garten + Landschaft ihre Januarnummer. www.garten-landschaft.de