: Der gute Doktor
Dann eben einfach selber machen: Dr. Motte ist Vater der Love Parade, Genmais-Gegner, Punk und Pflanzenpate. Er ist ganz normal und schweift normal ab. Ein Ortstermin bei einer lebenden Legende
von DETLEF KUHLBRODT
96, als der Doktor seine erste Rede halten musste, um die Love Parade als Demo zu legitimieren, standen wir da und guckten so nach oben. Wir grinsten ein bisschen und fragten uns, ohje, was erzählt der da? Von der völkerverbindenden Kraft der Musik, dass sich alle lieb haben sollen und nun noch viel Spaß zusammen. Später fiel einem dann ein, dass ja auch das Ohje, das man empfand, etwas Verbindendes, den Intentionen des Doktors Gemäßes hatte.
Einmal, als es wieder ordentlich Probleme gab, hatte Motte das Ihr-gegen-wir-Fass aufgemacht und gesagt „Ihr wollt Kontrolle bis in unsere Seele und schärfere Gesetze, um uns zu diskriminieren. Schaut her (…) Wir kommen mit Plattenspielern und spielen unsere Schallplatten. Ihr kennt keine Lieder. (…) Wir sind hier – unter euch – aber unangreifbar. Wir sind anders und müssen weiter.“ Rückblickend war das vielleicht seine stärkste Ansprache ans Volk, das längst sehr heterogen geworden war mit den vielen Gaffern mittendrin.
Und in der abseits der Großveranstaltungen des Sommers menschenleeren Stadt, in der sich niemand für den musikalischen Dreck zu schämen scheint, der jedes Jahr zu Silvester am Brandenburger Tor geboten wird, wurde jedes Jahr gemurrt über dieses Umsonst-&-draußen-Geschenk, das in seiner Internationalität und Jugendlichkeit Berlin für ein paar Tage aussehen ließ wie eine wirkliche Metropole.
Und der Doktor, den manche auch Matthias nennen, blieb immer freundlich und aktiv: 98 auf der Hanfparade oder im Frühjahr auf dieser seltsamschönen Technodemo mit vielleicht hundert Leuten gegen den Irakkrieg.
Wir sitzen vor einem japanischen Restaurant in Kreuzberg; Dr. Motte findet es gut, dass überall noch die Pace-Fahnen herumhängen. Der Vater der Love Parade legt mindestens 52-mal im Jahr auf; mal vor Millionen, mal auch nur vor zweien, er fotografiert, baut Installationen und hört am liebsten „Radio Multikulti“. Früher war er mal Punk, er hat einen „Gen-Mais-Nein-danke“-Sticker auf seinem Auto und spricht von „Brain-Washington“.
Dr. Motte ist: in der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, im „BUND“, im „Allgemeinen Deutschen Fahrradverein“ und im „Tierhilfswerk“. Gerade eben noch ist er im bedrohten Botanischen Garten Pflanzenpate geworden: vom japanischen Liebesperlenstrauch und einem Gewächs namens „Brennende Liebe“. „Das kann ja einfach nicht sein“, erzählt er, „dass eine Stadt wie Berlin einfach sagt, wir haben kein Geld mehr und müssen unseren Botanischen Garten einstampfen. Wenn unsere Politiker den nicht erhalten können, müssen wir Berliner das halt selbst machen. Also ran hier!“
Dr. Motte kichert ein bisschen. Er ist ja ganz normal und schweift normal ab, wie jeder beim Sprechen. Eine Weile sitzt auch der thailändische Restaurantbesitzer Herr Hai („wie Haifisch“) mit am Tisch und erzählt, dass in Thailand alles relaxter gehandhabt werden würde. Dr. Motte redet übers Kharma und dass wir nicht wissen, worum es da geht, andernfalls „bräuchten wir ja gar keine Gesetze. Andererseits gibt es im Deutschen dafür ja auch einige Sprichwörter: „So wie du in den Wald rufst, so schallt es auch heraus.“
„Es ist doch so“, sagt er: „Wir wollen alle glücklich sein. Wir wissen nur nicht, wie es geht. Das sagt uns keiner.“ Herr Hai knüpft an mit Gedanken über Ambient-Musik und die harmonisch aufeinander abgestimmten Zutaten seiner Speisen. Wo war’n wir nochmal? Ach ja: Berlin. „Berlin kennt sein Potenzial nicht“, kommt der Doktor aufs Thema zurück, „Berlin geht schlecht mit Geld um, und wenn der Berliner was liebt, haut er gerne drauf.“
Auf die Parade zum Beispiel? Die Szene wende sich grade ja eher vom Kommerz ab, erzählt er, und schlechte Wagen hätte er in den letzten Jahren zwar auch gesehen, aber „darauf nehmen wir keinen Einfluss. Wir bieten nur die Plattform.“
Wir – das sind für ihn auch du und ich, „und wir sollten erst einmal daran arbeiten, uns selbst zu entdecken. Aber man wird ja nie in Ruhe gelassen. Immer gefordert. Im Fernsehen wird gesagt, warte noch einen Augenblick, das, was du sehen willst, kommt gleich. Aber vorher haben wir noch eine Werbepause.“ Stimmt!
Dass er solche Dinge nicht komplizierter formuliert, wird ihm oft übel genommen. Was wiederum kein Wunder ist, wo doch „niemand mit sich selbst im Reinen ist, niemand mit sich selbst in Kontakt steht. Das Potenzial, das man als Kind noch hatte, wird durch Unwissenheit vernichtet. Teilweise.“
Das sind so die Fragen, die ihn bewegen, Fragen, die sich zum Teil selbst beantworten, wenn die innere Stimme zu einem spricht und man dann eine Erkenntnis hat. „Irgendwann“, sagt er, „kann man dann nicht anders, als die Erkenntnis zu leben.“
Dann erzählt er, nur um den Gedanken zu verdeutlichen, die Geschichte des Königs, der sein Volk liebt. „Und das Volk liebt ihn“, sagt er, „und wirklich alle sind glücklich, bis eines Tages die Brunnen vergiftet sind. Nur der Brunnen des Königs nicht. Und dann trinken alle aus diesen vergifteten Brunnen und werden ganz verrückt. Und weil der König sich nicht verändert hat, fällt das natürlich auf, dass er anders ist als alle anderen. Und dann sagen alle Leute im Volk, dass ihr König so komisch ist und dass sie ihn nicht mehr mögen.“ Auch Herr Hai guckt jetzt sehr traurig, aber „der König kriegt dann irgendwann heraus, weshalb das so ist, und er geht aus seinem Schloss raus und trinkt auch aus dem vergifteten Brunnen. So ist das zu vergleichen.“
Womit wir bei den Drogen wären. „Die werden halt genommen“, sagt er und dass er sich Gedanken über „Drogenprävention im Freizeitbereich“ mache. „Setzt du dich auch für eine weitgehende Legalisierung ein?“ – „Klar.“ Und sonst? – „Ich bin weiterhin auch der Freak. Ich bin weiterhin auch der Punk, der Musikliebhaber und der Tänzer.“ Und: „Wenn man halt anders ist als die anderen, wird man immer als komisch hingestellt, obwohl man mit sich im Reinen ist und einen guten Weg geht.“
Wie der König? „Ungefähr. In anderen Ländern ist es ja anders; da wird man so akzeptiert wie man ist. Aber in Deutschland gibt es zu viele Neider und negativ gestimmte Leute. Das mag ich eigentlich nicht. Es treibt mich wieder weg.“ Wohin? „Hawaii, oder halt Barcelona. Das ist ’ne tolle Stadt! Das ist ’ne Weltstadt.“