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Archiv-Artikel

vorlauf Was habt ihr alle denn bloß?

„Hab und Gut in aller Welt: Kirgistan“ (So., 0.20 Uhr, ZDF)

Die Gedankengänge der Programmplaner sind bisweilen verschlungen – da macht auch das ZDF keine Ausnahme. Die Mainzer müssen bekannterweise sparen und strahlen deshalb zur Sommerzeit bevorzugt Ladenhüter aus, wenn nicht tagsüber stundenlang Radfahrer ins Bild rücken.

Ernsthafte Gründe sind das freilich nicht, um veritable Qualitätsprodukte in die Nachtschiene zu verbannen. Das wiederum trifft die immerhin mit einer Nominierung für den diesjährigen Grimme-Preis geadelte, insgesamt 10-teilige Reihe „Hab und Gut in aller Welt“ bitter. Zum einen, weil die Koproduktion mit Arte ungewöhnliches Fernsehen bietet, und andererseits, weil sie getrost als modernes Familienfernsehen durchgehen kann.

Denn was uns Gerlinde Böhm in ihrer Weltreise von Grönland bis Mali und von Brasilien bis Hongkong bietet, sind keine exotischen Gemeinplätze oder belehrenden Traktate. Ohne störende Kommentare aus dem Off lässt sie vielmehr einfache Familien erzählen, was ihnen etwas wert ist im Leben – für manche ist es ein Auto, für andere die Freundschaft oder der Frieden mit den Nachbarn. Fein mit der Kamera beobachtet, geben ihre jeweils halbstündigen Geschichten vom Alltag zugleich auch auch Einblicke in die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern: Unaufdringlich und doch pointiert, weil die Wahl-Berlinerin Böhm ihren ProtagonistInnen zuhört und die Ehepartner schlauerweise getrennt befragt.

Ihre morgige Reise führt uns zu Kalbübü und Kanatbek in die raue Bergwelt Kirgistans. Hier haben die gelernte Ärztin und der Ingenieur im Sommer ihre traditionelle Jurte aufgeschlagen und verkaufen die begehrte Stutenmilch an Autofahrer.

Das ist für die Akademiker ein harter Job, aber allemal lukrativer als in postsozialistischen Einrichtungen wieder auf die Auszahlung karger Saläre zu warten. So sind sie nach dem Fall des Sozialismus wieder in prä-industrielle Zeiten zurückgefallen. Das Ehepaar, das gemeinsam elf Kinder großgezogen hat, erzählt dies ohne Larmoyanz und Wehklagen, auch wenn Kalbübü manchmal davon träumt, ins westliche Ausland zu reisen. RAINER BRAUN