: Küsten-Querdenker
Eine Kandidatur von Bezirksleiter Frank Teichmüller von der IG Metall Küste für den Job des neuen Gewerkschaftsbosses wird immer wahrscheinlicher
aus Hamburg KAI VON APPEN
Schon in der Vergangenheit hatte der Chef der IG Metall Küste, Frank Teichmüller, gern mit einer Position in der Frankfurter Führungsriege der Gewerkschaft geliebäugelt. Doch der Gewerkschaftsstratege aus dem Norden galt den anderen Bezirksfürsten bisher stets als „zu unberechenbar“ und fiel bei der Berücksichtigung in den unterschiedlichen Fraktionen des IG Metall-Apparats immer durch. Nun hatte der 59-Jährige eigentlich seine Karriere bereits als beendet abgehakt, sah seinem Ruhestand entgegen – wäre da nicht das Streikdebakel im Osten passiert. Jetzt gilt Teichmüller als einer der heißen Favoriten, als Interimsvorsitzender die Gewerkschaft mit ihren 2,7 Millionen Mitgliedern aus der Krise zu führen. Und er ist „notfalls trotz anderer Lebensplanung“ dazu bereit.
An der Küste gilt Teichmüller seit seiner Wahl zum Bezirksleiter 1986 als intellektueller Querdenker und ist, obwohl er keine klassische Metall-Karriere hinter sich hat, unangefochten. Der studierte Jurist kam 1974 als Sachbearbeiter zur IG Metall nachHamburg. Dort machte er eine steile Karriere und schaffte den Sprung direkt in die IG Metall-Bezirksleitung.
Seither kann er durchaus Erfolge vorweisen. So zeigte er, dass trotz Gegenwindes innovatives gewerkschaftliches Handeln möglich ist – ob in der krisengeschüttelten Werftindustrie, im labilen Flugzeugbau oder der boomenden Automobilbranche sowie in der angeschlagenen Elektroindustrie des Nordens.
Unter seiner Ägide wurde – von den anderen Bezirksleitern zuerst belächelt – das Konzept der „betrieblichen Tarifpolitik“ entwickelt. Das gab der IG Metall ergänzend zum Flächentarifvertrag Spielraum zur Mitgestaltung in den Betrieben, aber auch die Möglichkeit, den Großkonzernen bei Betriebsstilllegungen nicht nur mit dem Betriebsverfassungsgesetz in der Hand zu begegnen, sondern Paroli zu bieten und Massenentlassungen sozial abzufedern.
Inzwischen gehören die „Ergänzungstarifverträge“ zum gewerkschaftlichen Instrumentarium, um Transfergesellschaften oder verlängerte Kündigungsfristen für von Entlassung Betroffene notfalls mit Streik durchzusetzen. Zuletzt geschehen bei Heidelberger in Kiel, Panasonic in Neumünster, Yageo in Elmshorn oder Hospital-Service in Glückstadt. Bei Airbus in Hamburg-Finkenwerder – dem Produktionsstandort des neuen Großraumfliegers A 380 – konnten nicht nur durch einen Haustarifvertrag zur Einführung von Arbeitszeitkonten Entlassungen verhindert, sondern sogar die Einstellung von 600 Mitarbeitern für den erwarteten Boom durchgesetzt werden.
Auch auf einem anderen gewerkschaflichen Kampfplatz konnte Teichmüllers Nord-Bezirk vor kurzem Punkte sammeln: Im jahrelangen Ringen um ein neues Entgeltrahmenabkommen (ERA). In den Bestrebungen, die Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten aufzuheben und durch ein modernes modizifiertes Leistungs- und Eingruppierungssystems zu ersetzen, gelang an der Küste der Pilotabschluss.
Ein Bonbon am Rande: Mit diesem ERA-Erfolg glückte der IG Metall Küste erstmals, gleiche Bedingungen für 190.000 Nord-Metaller in Ost und West durchzusetzen – exakt das, was beim jüngsten Oststreik misslungen ist. ERA gilt nicht nur für Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und das nördliche Niedersachsen, sondern auch für Mecklenburg-Vorpommern.
Der Unterstützung seines Bezirkes für eine Kandidatur auf dem außerordentlichen Gewerkschaftstag kann sich Teichmüller sicher sein. Schon vor zwei Wochen setzten sich die 19 Bevollmächtigten im Bezirk Küste in der so genannten „Hamburger Erklärung“ für den Rücktritt des Metall-Vizechefs Jürgen Peters und für einen Neuanfang ein. „Die IG Metall braucht dafür eine unbelastete Führungsspitze.“