: Ein anmutiges Gemetzel in neuem Licht
Acht Jahre und insgesamt 3 Millionen Euro brauchte es, um den Fries des Pergamonaltars zu restaurieren. Nun schwärmen die Experten von einer neuen Sicht auf ein „Weltwunder“. Der Kampf der Götter gegen die Giganten ist jetzt rostfrei und sauber
VON PHILIPP GESSLER
Es ist ein einziges Abschlachten. Aber das in einer Schönheit, die seit Jahrzehnten, in gewisser Weise seit Jahrhunderten Menschen aller Nationen in Bann zieht. Hier eine Hand, die einen Haarschopf eines Opfers packt, um es leichter abstechen zu können. Dort eine Frau, die mit einer Fackel auf das Gesicht ihres Gegners zielt. An jener Stelle ein Löwe, der einen bärtigen Mann ins Genick beißt. Und das alles mit einer Anmut, die manche weinen macht. „Wie glücklich bin ich, dass ich nicht starb, bevor ich einen solchen Eindruck mitnehmen und all diese Herrlichkeit sehen durfte“, sagte der russische Autor Iwan Turgenjew (1818 bis 1883), als er drei Jahre vor seinem Tod Marmorfunde aus Pergamon betrachtet hatte.
Nach acht Jahren ist die Restaurierung der Friese des Pergamonaltars auf der Museumsinsel beendet – und die involvierten Experten kommen wie der russische Schriftsteller vor mehr als hundert Jahren aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Peter-Klaus Schuster, der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, spricht von einem „Moment des Triumphes und Glücksgefühls“. Gertrud Platz, die amtierende Direktorin der Antikensammlung, zeigt sich überwältigt vom neuen Eindruck des Altars. Der Kurator der Antikensammlung, Volker Kästner, meint, man habe nun einen „völlig neuen Pergamonaltar“ vor sich. Und Wolf-Dieter Heilmeyer, kürzlich pensionierter Direktor der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, spricht in einem zeitgleich mit dem Ende der Restaurierung veröffentlichten Museumsführer von einem „Weltwunder“.
Mehr als 800.000 Menschen besuchen jedes Jahr dieses „Weltwunder“ – und brauchen, trotz offensichtlich häufiger Begeisterung für die blutige Szenerie, ziemlich viel Fantasie, um zu verstehen, was da eigentlich zu sehen ist. Denn bruchstückhaft sind viele der 2,30 Meter hohen Friese auf 117 Marmorplatten, aufgehängt in etwa drei Meter Höhe. Das Siegesmonument in Altarform aus dem 2. Jahrhundert vor Christus zeigt den siegreichen Kampf der griechischen Götter gegen ihre Konkurrenten, die Giganten. Diese waren der Sage nach muskulöse Kreaturen, halb Mensch, halb Tier. Der hellenistische Herrscher Eumenes II. ließ den Altar nach seinem Sieg über die Kelten errichten, die sein Reich attackierten. Die kämpfenden Götter in Menschengestalt symbolisieren hier die obsiegenden Griechen. Klar, für wen die Giganten stehen.
Schön sind die perfekten Körper der beiden kämpfenden Parteien. Doch der Genuss beim Betrachten war zuletzt getrübt: Vor allem wegen des Schmutzes, der sich in den vergangenen Jahrzehnten auf die Figuren und Fragmente gelegt hatte. Kennern machte zudem die Tatsache Sorgen, dass manche Marmorfiguren des Frieses von der Wand zu fallen drohten, wenn durch Arbeiten im Keller des Hauses leichtere Vibrationen auftraten. So verrostet waren einige Dübel, die die teilweise tonnenschweren Reliefplatten hielten. Diese verrosteten Dübel drohten auch die fast 2.200 Jahre alten Marmorplatten zu sprengen, erklärte Gertrud Platz. Und dann noch die eher grobe, graue Betonwand, vor der der 113 Meter lange Fries stand – ausgesprochene Geschmackssache war das.
Für insgesamt etwa 3 Millionen Euro wurden die Figuren und Fragmente nun gereinigt. Teilweise wurden sie auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse neu platziert. Die rostigen Dübel wurden ersetzt und durch korrosionsfreie Edelstahldübel ersetzt. Die Betonwände waren beim Transport des Altars 1945 nach Leningrad und beim Rücktransport 1958 nach (Ost-)Berlin feucht geworden und hatten diese Feuchtigkeit an die Dübel weitergegeben, erläuterte Gertrud Platz. Auch einige Füße, Schlangenteile und Gliedmaßen gingen damals verloren. Späte Kriegsfolgen, wenn man will.
Vielleicht am augenfälligsten aber ist der Erfolg der Renovierung sichtbar im Austausch der Betonwand hinter dem Fries durch einen neuen Hintergrund aus hellem italienischem Kalkstein. Er bringt die unterschiedlichen Farben des Marmors besser zur Geltung, ja der Eindruck der Plastizität des Kunstwerks wird erhöht, wie die Experten betonen. Außerdem wurden nach Schätzung Heilmeyers mehr als 50 bisher noch nicht platzierte Pergamonfragmente aus den Depots des Museums an ihren (wahrscheinlichen) Ursprungsort im Fries montiert. „Ein Puzzle aus tausenden von Teilen“, sagte Kästner begeistert. „So schön und so richtig“ seien die Figuren des Altars noch nie zu bewundern gewesen, meinte Schuster.
Demeter etwa, die Göttin des Ackerbaus, sei nun durch Ergänzungen in einer „völlig neuen Kampfgruppe“ zu sehen, ist Kästner begeistert, nämlich wie sie mit zwei Fackeln zwei Giganten bekämpft. Es bedarf gehöriger Einbildungskraft oder immensen Wissens, um diese (neue) Kampfszene im Ostfries an der Stirnwand des Museumssaals zu erkennen. Aber vielleicht ist das ja ein Teil des Geheimnisses dieses Siegesdenkmals: dass nur die Fantasie des Betrachters aus dem ästhetischen Gemetzel ein grandioses Ganzes macht. Die schönste Schlacht der Kunstgeschichte entsteht nur im Kopf.