Off-Kino: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Fay Wray war das perfekteste Opfer schmieriger Leinwandschurken in der Geschichte des Kinos. Denn mit ihrer heute seltsam anmutenden Gestik – den Unterarm rechtwinklig vor den Körper gestreckt und die Hand in einem fast unnatürlichen Winkel erhoben – signalisierte die heute 96-jährige Schauspielerin: Lasst mich bloß in Ruhe! Dies forderte dumpfe Machos und irre Mörder jedoch erst recht heraus, wobei eine etwas verquere Erotik ins Spiel kam. „The Most Dangerous Game“ (1932, R: Ernest B. Schoedsack, Irving Pichel) erzählt die Geschichte des sadistischen Grafen Zaroff (Leslie Banks), der die Überlebenden von Schiffsunglücken – die er mit falschen Positionslichtern selbst herbeigeführt hat – auf seiner abgelegenen Insel aussetzt, um sie zu jagen. Aber: „Das weibliche Tier wird nie von mir getötet“, verkündet der Graf mit dickem russischem Akzent – und schon hat Wray als die schiffbrüchige Eve Trowbridge allen Grund, nervös mit ihren Händen herumzuspielen. Zwar wird der Graf schließlich von dem Großwildjäger Ransforth (Joel McCrea) besiegt, doch zuvor kommt es zu einem unvergesslichen Moment, in dem eine Großaufnahme der in panischer Angst bebenden Eve mit einer Großaufnahme von Zaroffs in hochgradiger Erregung verzerrtem Gesicht kontrastiert wird. Deutlicher konnte man die sadomasochistisch geprägte Täter-Opfer-Beziehung seinerzeit nun wirklich nicht darstellen.Auch in „King Kong“, den Ernest B. Schoedsack und Merian C. Cooper zeitgleich mit „The Most Dangerous Game“ in derselben Urwaldkulisse und zum Teil mit denselben Darstellern drehten, wird Wray in mehrfacher Hinsicht zum Opfer: Die Eingeborenen bieten Wray dem Urwaldgorilla Kong als Opfergabe an, und der Gorilla wird zu ihrem Peiniger und Beschützer gleichermaßen. Dabei entwickelt auch „King Kong“ eine ziemlich bizarre Erotik – so dass der Nachruf auf den Affen schließlich lautet: „It was beauty that killed the beast!“Verfolgten Monster und Mörder der 30er-Jahre vornehmlich scheu erbebende Jungfrauen, sind die Film-Slasher spätestens seit John Carpenters „Halloween“ (1978) vor allem promiskuitiven Teenagern auf den Fersen. In gewisser Weise lässt sich Brian De Palmas Thriller „Carrie“ (1976) als Vorläufer dieser Entwicklung betrachten: Unterdrückt von einer fanatisch religiösen Mutter und gehänselt von den Klassenkameraden, rächt sich die Titelfigur dank telekinetischer Fähigkeiten schließlich aufs Furchtbarste an ihren Peinigern, die sich zwischenzeitlich natürlich mit Sex, Alkohol und dem unsachgemäßen Erschlagen von Schweinen amüsiert haben. Eigentlich erweisen sich die leisen, von der verhuschten Sissy Spacek getragenen Momente des Films als die interessantesten: etwa wenn sich Carrie ihre seltsamen Fähigkeiten zu erklären sucht, indem sie in der Bibliothek unter „M“ wie „miracle“ nachschlägt. Die zeitgenössischen Kinogänger hingegen bevorzugten eimerweise Blut und das von Stephen King erdachte übersinnliche Brimborium: Auch das gibt es reichlich.LARS PENNING
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