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Archiv-Artikel

Baden im Bosporus

Cornelius Bischoff verbrachte die Zeit des Zweiten Weltkriegs als Kind mit seiner Familie im türkischen Exil. Der bei Harburg lebende Übersetzer türkischer Literatur erinnert sich an eine abenteuerliche Zugfahrt nach Paris, türkische Freunde und alte osmanische Verbannungsstädte am Rande der Steppe

TÜRKISCHES EXIL

„Haymatloz“, so nannte man in der Türkei die Emigranten, die während des „Dritten Reichs“ aufgrund politischer oder rassischer Verfolgung aus Deutschland und später Österreich in die Türkei kamen. Man schätzt die Zahl auf 1.000 Emigranten, die sich überwiegend in Istanbul und Ankara niederließen. Meistens ging der Emigration ein Ruf aus der Türkei voraus, an eine der neu gegründeten Universitäten, Musikkonservatorien oder Krankenhäuser. So war etwa in den 40er Jahren an der Uni Istanbul die Hälfte der Lehrstühle mit Emigranten besetzt. Einen „Wartesaal erster Klasse“ nannte der Architekt Martin Wagner in einem Brief an Walter Gropius das kleine exklusive Exil. Eine vom Verein „Aktives Museum“ erarbeitete Ausstellung über das weitgehend unbekannte Exil in der Türkei gastiert nun in Hamburg. Zu sehen ist sie bis zum 27. Februar in der Galerie der Toepfer-Stiftung, Georgsplatz 10. MAP

VON MAXIMILIAN PROBST

Er könne auch in gesalbten Worten einen Vortrag halten, „aber am liebsten lass‘ ich mich fragen und sabbel dann einfach los“, sagt der Ex-Exilant. Eine Tischlampe taucht die Schreibtischszene in warmes Licht, hinter dem Fenster mit den Vogelsilhouetten sieht der Tag seinem Ende entgegen. Ein Surren, von der Küche her, so fein wie das Rauschen der Landstraße, draußen vor dem Haus.

Weshalb seine Familie in die Türkei gegangen sei? Flucht natürlich, sagt der Ex-Exilant und lehnt sich zurück. Obwohl doch bei ihnen der Fall etwas anders gelegen habe als bei allen anderen Türkei-Emigranten. Die seien ja meistens von der Regierung eigens geholt worden, um Atatürks Modernisierung des Landes voranzutreiben. Nicht so bei seiner Familie: Sein Vater sei schon in den 20er Jahren in Istanbul gewesen, den Tischler hätte es auf seiner Walz dorthin verschlagen. Und als er ein paar Jahre später zurückgekommen sei nach Hamburg-Harburg, da sei er in Begleitung und verheiratet mit einer osmanischen Serbin gewesen.

„1938 war‘s, da hatte meiner Mutter in Istanbul eine Erbschaft gewunken“, sagt der Ex-Exilant. „Der Führer brauchte Kanonen, der Staat Divisen, so hat man meinen Vater gehen lassen.“ Also keine politische oder rassische Verfolgung? Oh doch, beides. Sein Vater sei Gewerkschaftsmann gewesen und seine Mutter habe judeo-spanische Vorfahren gehabt. Der Vater habe geahnt, dass es später heikel für sie hätte werden können und so sei die Familie ihm nachgereist, über Paris, mit einem abgelaufenen Visum.

„Aus dem Zug wurden auch welche rausgeholt“, erinnert sich der Ex-Exilant. Und sagt dann, langsam, gedehnt, in sich gekehrt: „,Der Schaffner kam. Hinter ihm zwei SA-Männer. Wie im Krimi: mit den hochgeschlagenen Kragen der Ledermäntel. Oder waren es Trenchcoats?“ Zum Glück hätte der Schaffner aber keine allzu hohe Meinung von den Nazis gehabt und gesagt: „Ist alles in Ordnung mit denen.“

Das müsse ja alles schrecklich gewesen sein, als Kind, herausgerissen aus dem vertrauten Harburg. Schrecklich? Nee, ein Abenteuer! Bitte? Ja doch, Abenteuer. Seinen Karl May hätte er da schon gelesen gehabt. Und überhaupt: „Der politische Hintergrund war ja noch ein anderer, 1939.“ Was noch kommen sollte, damit hätte man ja gar nicht gerechnet, sein Vater vielleicht, aber sie als Kinder? Da sei die SA mit Marschmusik durch die Straßen gelaufen, „Öffnen die Mädchen Fenster und Türen“, sei eines ihrer Lieder gewesen, und was habe man sich als Kind da schon gedacht?

Nun gut, also Paris, und wie weiter? Warten auf die Papiere. Und dann über Marseille nach Istanbul. Der Vater hätte da schon in Lohn und Brot gestanden, Benzintanks gebaut am Bosporus. Als man ihm später gekündigt habe, sei es enger geworden, die Gebühren für die deutsche Benediktiner-Schule habe sein Vater da nicht mehr bezahlen können. „Da meine Schwester und ich aber fast die einzigen Kinder auf der Schule waren, die fließend deutsch sprachen, durften wir ohne zu zahlen bleiben“, sagt der Ex-Exilant, und ein Echo der Erleichterung hallt sanft in seiner Stimme nach.

Da habe er ein paar gute Freunde kennengelernt, in der Schule. Den Maler Orhan Peker etwa, einen der bekanntesten türkischen Maler seiner Zeit, sagt der Ex-Exilant nicht ohne Stolz und zeigt auf ein Ölbild an der Wand, von ihm, und kramt ein Buch mit türkischem Titel hervor, und übersetzt: „Briefe an Cornelius“, das sei er, Cornelius Bischoff. Peker habe die Briefe später herausgegeben, bevor er am Suff zugrunde gegangen sei.

Gemeinhin heiße es doch von den Türkei-Exilanten, sie seien unter sich geblieben. „Das stimmt“, sagt der Ex-Exilant, er habe mit der deutsche Kolonie aber nichts anfangen können und lieber mit einer türkischen Clique herumgehangen. Die seien ja alle sehr offen gewesen. Als die Wehrmacht in Russland einmarschiert sei, „der Russe ist ja der Hausfeind der Türken“, sagt er, da hätten die Türken auf der Straße getanzt, wo man selbst doch gedacht habe: Scheiße, jetzt zetteln die ‘nen Weltkrieg an.

Der Ex-Exilant schaut in seine Kaffeetasse. Jedenfalls habe er sich immer mit den türkischen Jungs herumgetrieben, oder bei den Nachbarn über ihnen, die hätten ein Radio gehabt, und so sei er mit seiner Familie jeden Abend dort rauf. Das sei schon ein anderes Leben gewesen als das der Herren Professoren. Die seien später ja auch nicht interniert worden, die hätten, als er mit seiner Familie, als die einfachen Emigranten aus Istanbul rausmussten, noch immer am Bosporus gesessen und ihren Wein gepichelt.

Interniert? Aber nicht in Lagern, sagt der Ex-Exilant, sondern in alten Verbannungsstädten, die schon im Osmanischen Reich Verbannungsstädte gewesen seien, ohne Gleisanschluss. Man habe innerhalb der Stadtmauern bleiben müssen, alle. Nur er selbst nicht. „Ich hatte mich gleich unter die türkischen Jungs gemischt, und die saßen alle auf Pferden, und galoppierten übers Kopfsteinpflaster durch die Stadt, hinaus in die Steppe.“ Da habe der Bürgermeister zu ihm gesagt: „Dich kann man sowieso nicht mehr von den anderen unterscheiden, und wenn du sprichst, schon gar nicht, reite mit.“ Und so sei er hinausgeritten in die Steppe, in die endlose Weite, die ihm schon seit Karl May vertraut gewesen sei.

Und sonst, die Familie, Arbeit? Keine Arbeit, gar nichts, das sei verboten gewesen. Nur hätte man dummerweise auch ein paar Lehrer aus seiner alten Schule interniert, und die hätten nichts besseres zu tun gehabt, als gleich wieder eine Schule aufzubauen. So habe es wieder Sonntags zur Messe geheißen und Montags früh zur Schule. „Typisch deutsch“, sagt der Ex-Exilant: Die Ordnung unter jeden Umständen aufrecht erhalten.

Schön, aber um noch mal zurückzukommen: Harburg – Istanbul, das müsse doch ein Kulturschock gewesen sein. Kulturschock? Nein, gar nicht. „Ach ja, vielleicht muss ich das erklären“, sagt der Ex-Exilant. Er sei begeisterter Schwimmer gewesen, hier in Harburg, Außenmühle, Wettschwimmen, man sei ja auch kernig erzogen worden in den Jahren vor dem Krieg. „Und dann landeten wir in Istanbul direkt am Bosporus“, sagt der Ex-Exilant. Sein Schnack: „Die Welt steht in Flammen, wir baden im Bosporus.“

Dann die Rückkehr nach Deutschland. Der Ex-Exilant erzählt von einem halbherzigen Jurastudium, von Schafsdärmen zur Fabrikation von Würstchen, von gepachteten Imbissen auf Bahnhöfen, und schließlich von seinem großen Sprung nach vorn: dem Sprung vom Fleisch zum Geist, von den Würstchen zur Literatur: Der 80-jährige Cornelius Bischoff lebt heute als preisgekrönter Übersetzer türkischer Literatur in Seevetal bei Hamburg.