ig metall : Jemand muss ja schuld sein
Die IG Metall ist in diesen Wochen immer eine Nachricht wert. Jeder Winkelzug im Führungsstreit wird ausführlich gemeldet. Dieses Interesse ist erklärungsbedürftig, denn so bedeutsam ist die IG Metall nun auch wieder nicht. Der Ehrentitel „größte Einzelgewerkschaft der Welt“ klingt zwar riesig, meint aber nur noch knapp 2,6 Millionen Mitglieder. Da haben andere Verbände mehr zu bieten: Der ADAC kann mit über 14 Millionen Kraftfahrern prunken – dennoch würde es das Publikum nicht besonders bewegen, wenn dort ein Führungskrieg ausbräche.
Kommentar von ULRIKE HERRMANN
Bei der IG Metall hingegen scheint es national bedeutsam, ob die „Reformer“ um Zwickel oder die „Traditionalisten“ um Peters siegen. Diese öffentlichen Emotionen sind schon deswegen seltsam, weil immer wieder zugegeben wird, dass die Zuschreibungen eigentlich falsch sind: Es war der angebliche Traditionalist Peters, der die pragmatischen Tarifmodelle bei VW herausgehandelt hat. Warum also bedenkt man die IG Metall mit dieser Aufmerksamkeit?
Weil dieses Dramolett um Macht und Prestige genau die Bedürfnisse vieler Zuschauer bedient. Denn die kleinen Verschwörungen – Zwickel gegen Peters und umgekehrt – scheinen eine ganz große Verschwörungstheorie zu belegen: Die Gewerkschaften sind schuld an der wirtschaftlichen Stagnation in Deutschland! Sie blockieren sich selbst, also blockieren sie auch sonst! Um diese Assoziation nicht zu stören, muss Peters so unbedingt in die Rolle des Traditionalisten gedrängt werden, der zu keinen Reformen bereit ist.
In die Gewerkschaften wird eine Macht hineinfantasiert, die sie nicht haben. Wäre die Lohnhöhe in Deutschland wirklich ein Problem, würden wir längst nicht so viel exportieren. Aber Strukturen wie „Produktivitätsfortschritt“ oder „schwache Binnennachfrage“ sind schwer zu vermitteln. Schuldfragen dagegen lassen sich angeblich einfach klären.
Das erleben ironischerweise auch die Arbeitgeber. Seit Monaten wird Front gemacht gegen die hohen Gehälter von Managern. Die Allianz reicht inzwischen von Bundespräsident Rau bis zu wirtschaftsfreundlichen Blättern. Es ist wahr, Vorstände verdienen oft zu viel, das gehört abgeschafft. Dies ließe sich nüchtern debattieren, aber wieder wallen die Emotionen, und die Öffentlichkeit reagiert wie bei der IG Metall: Die Wirtschaftskrise wird personalisiert. Die Stagnation kann lange währen, wenn nur Pseudodebatten interessieren.