Die Gangsterfrösche von Neukölln

In Neukölln entsteht die bisher einzige Jugendstraße Deutschlands – mit Jugendclub, Straßencafé und Bühne. Die Initiatoren wollen Berührungsängste zwischen ethnischen Gruppen abbauen. Die Kids sind stolz auf das, was sie selbst geschaffen haben

von SARAH HARTMANN

Ein wenig unheimlich wirken sie schon, wie sie da mit finsterem Blick an der Straßenecke stehen. Ihre wuchtigen Leiber flößen Respekt ein, und es scheint, als bewachten sie die Straße. Doch die Menschen im Neuköllner Reuterkiez haben sich längst an den Anblick der beiden vier Meter hohen Ochsenfrösche gewöhnt, die seit einigen Wochen an der Weser- Ecke Rütlistraße etwa 20 Meter vor dem Eingang des Jugendclubs „Manege“ thronen. Nur wer zum ersten Mal hier vorbeikommt, bleibt noch mit offenem Mund stehen.

Wolfgang Janzer und Martha Janzer de Galvis sind gerade dabei, einem der beiden zwei Tonnen schweren Ungetüme eine letzte Schicht Glasfasern und Leim zu verpassen. Die beiden Künstler und zugleich Leiter des Jugendclubs sind hier mindestens so bekannt wie ihre Ochsenfrösche. Ein Jugendlicher winkt ihnen im Vorbeigehen zu, Deutsche und Türken sowie ein paar Punks mit Schottenrock und Nietengürteln bleiben einen Augenblick stehen, um die Fortschritte zu begutachten und ein Schwätzchen zu halten: „Na, Martha, wieder am Arbeiten?“, lautet ihr Kommentar.

Die riesigen Skulpturen sind ein sichtbarer Schritt in der Umsetzung des Projektes, dass Ende letzten Jahres angelaufen ist. Hier im Neuköllner Nordosten entsteht die bisher einzige Jugendstraße Deutschlands. In das Grau aus Gewerbehöfen, Schulen, tristen Wohnbauten und einer leer stehenden Villa ist Farbe eingezogen. 170.000 Euro hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ in die Aufwertung des Quartiers gesteckt. In den nächsten Wochen soll die Rütlistraße endgültig für den Autoverkehr gesperrt werden, dann wird ein Straßencafé eröffnet.

Dabei geht es den Initiatoren vom Verein „Fusion e. V.“ mit Vorstand Janzer vor allem darum, Berührungsängste zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, die hier leben, abzubauen und damit die nachbarschaftliche Kommunikation im „sozialen Brennpunkt“ um den Reuterplatz – wo Kinder schon als Sozialhilfeempfänger aufwachsen – zu verbessern.

Die Schüler der beiden nahen Schulen wurden in die Verwirklichung der Jugendstraße ebenso einbezogen wie der Jugendclub, die Kita und die Kleingärtner der benachbarten Schrebergartenkolonie. In mehreren Bürgerversammlungen wurden Anwohner mit der Initiative bekannt gemacht. „Überwiegend wurde die Idee positiv aufgenommen“, sagt Wolfgang Janzer, aber es habe auch Skepsis und Ängste von Seiten der Anwohner gegeben. Einige befürchten noch immer, die Straße könnte zum Treffpunkt für Krawallmacher werden und auch die Drogenszene vom Hermannplatz anziehen.

Allerdings zeigt die amtliche Statistik, dass die Anzahl der Polizeieinsätze in der Straße abgenommen hat, seit „Fusion e. V.“ das Jugendzentrum betreibt. „Früher war es ganz schlimm hier“, erzählt ein Nachbar, „da musste man nachts einen großen Bogen um die Straße machen. Jetzt ist es viel ruhiger.“

Auch bei den Integrationsbemühungen kann das Projekt erste Erfolge verzeichnen. Walter Witzel, Hauswart in der benachbarten Tellstraße, ist früher schon mal mit Jugendlichen aus der Nachbarschaft aneinander geraten. Doch als er von dem Projekt erfuhr, war er angetan von der Idee und begann, sich an der Planung zu beteiligen. Mittlerweile spricht er nur noch von „wir“, wenn es um die Jugendstraße geht.

Als Wolfgang und Martha Janzer 1999 den Verein gründeten und begannen, zusammen mit den Jugendlichen die Fassade des Klubhauses zu renovieren und mit bunten Masken und Figuren zu schmücken, war Witzel noch skeptisch. „Kinders, hab ich gesagt, det wird doch nie was. Keine acht Tage, dann ist das Ding beschmiert und alles kaputt.“ Doch er hatte sich geirrt. Bis heute ist die Fassade nicht angetastet worden. Witzel und Janzer sind sich einig: „Was sie selbst geschaffen haben, das machen die Kids nicht kaputt. Da sind sie schließlich stolz drauf.“

Nach demselben Prinzip soll auch die Jugendstraße funktionieren. Ein Straßencafé soll es geben, das Jugendliche ganz selbstständig betreiben, und eine Bühne für Veranstaltungen. Schließlich will man die leer stehende Villa am Ende der Straße in ein Jugendhotel umbauen.

Als es darum ging, wie das Eingangsportal für die Jugendstraße gestaltet werden soll, erzählte Wolfgang Janzer den Kids von einer Fernsehreportage über Ochsenfrösche. „Das ist eine knallharte Tierart. Sie vermehren sich schnell, sind aggressiv und machen alles platt.“ Die Kids waren begeistert von den fiesen „Gangsta-Fröschen“ und so wurden sie als Bewacher der Jugendstraße auserkoren. Und bisher hat es keiner gewagt, ihnen auch nur ein Haar zu krümmen.