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Archiv-Artikel

Zypries will autonome Patienten

Erstmals soll die Verbindlichkeit so genannter Patientenverfügungen gesetzlich geregelt werden. Arbeitsgruppe des Justizministeriums stellte Empfehlungen vor: Patientenwille bekommt mehr Gewicht. Gesetz bis Mitte nächsten Jahres

AUS BERLIN CHRISTIAN RATH

Der Wille von Kranken am Lebensende soll künftig stärker berücksichtigt werden. Dies erklärte gestern Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und kündigte einen Gesetzentwurf an, mit dem erstmals Patientenverfügungen gesetzlich geregelt werden sollen. Zypries stützt sich dabei auf den Bericht einer von ihr eingesetzten Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“. Dieser wurde gestern in Berlin von Klaus Kutzer, einem ehemaligen Richter am Bundesgerichtshof (BGH), vorgestellt.

Ist künstliche Beatmung und Ernährung erwünscht, oder wird Apparatemedizin abgelehnt? Mit einer Patientenverfügung kann jeder vorsorglich festlegen, welche Art der medizinischen Behandlung er wünscht, falls sein Bewusstsein dauerhaft verloren geht. Die Kutzer-Kommission schlägt nun vor, dass solche Verfügungen für Ärzte und Betreuer verbindlich sein sollen, auch wenn das Abschalten von Apparaten den Tod herbeiführt.

Grundsätzlich entspricht dies einem BGH-Grundsatzurteil vom März 2003. In zwei Punkten geht die Kutzer-Kommission nun aber weiter. Zum einen soll das Vormundschaftsgericht das Abschalten von lebensverlängernden Maßnahmen nur dann genehmigen müssen, wenn zwischen Arzt und Betreuer Streit über die Auslegung der Verfügung besteht. Nach der aktuellen BGH-Rechtsprechung muss das Vormundschaftsgericht schon dann entscheiden, wenn Ärzte eine weitere medizinische Behandlung (auch gegen den Willen des Betroffenen) für sinnvoll halten.

Stärken will die Kommission den Patientenwillen auch in einem zweiten Punkt. Der BGH wollte Verfügungen nur dann als verbindlich ansehen, wenn die Krankheit einen „irreversibel tödlichen Verlauf“ genommen hat. „Für diese Einschränkung gibt es aber keinen Grund“, so Kutzer, „der Patientenwillen muss immer maßgeblich sein.“ Praktisch relevant ist dies bei Wachkomapatienten, die nicht als Sterbende gelten und oft jahrelang künstlich am Leben gehalten werden.

Wenn im Einzelfall keine Verfügung vorliegt und auch kein Angehöriger oder Freund eine Vollmacht zur Entscheidung solcher Fragen erhalten hat, dann sollen Arzt und gerichtlich eingesetzter Betreuer anhand von „konkreten Anhaltspunkten“ den „mutmaßlichen Willen“ des Bewusstlosen herausfinden. Ist dies nicht möglich, hat im Zweifel der Lebensschutz, also die Apparatemedizin, Vorrang. Insoweit entspricht das Konzept der Kommission der bisherigen Rechtsprechung. Ministerin Zypries will die Vorgaben der Kommission nun in einen Gesetzentwurf übernehmen, der bis Mitte nächsten Jahres im Bundestag verabschiedet sein könnte.

Reserviert zeigte sich Zypries jedoch beim strafrechtlichen Teil der Kommissionsvorschläge. Hier will die Arbeitsgruppe im Strafgesetzbuch klarstellen, dass passive und indirekte Sterbehilfe straflos sind. Als „passive Sterbehilfe“ versteht man das Abbrechen einer Behandlung auf Wunsch des Patienten. „Indirekte Sterbehilfe“ meint die Gabe von schmerzmildernden Mitteln, die als Nebenwirkung lebensverkürzend sein können. Beides hat der BGH bereits für zulässig erklärt. Kutzer hält eine Klarstellung im Gesetz für notwendig, weil hier bei Ärzten „große Unsicherheit“ herrsche und diese deshalb oft den Patientenwillen ignorieren oder auf eine wirksame Schmerztherapie verzichten.

Am Verbot der „aktiven Sterbehilfe“ – der ärztlichen Todesspritze – will die Kommission unbedingt festhalten. Dennoch hat Ministerin Zypries Angst, die vorgeschlagenen Klarstellungen in der Öffentlichkeit könnten missverstanden werden.

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