„Aus Not wird Geschwindigkeit“

Kein Geld, kein Raum, keine Zeit – das sind die drei wichtigsten Prämissen der New Yorker Kulturszenen, die bei der Biennale Bonn präsentiert werden. Ein Gespräch mit den Kuratoren Klaus Weise und Steffen Kopetzky über die Produktionsbedingungen in New York und den Stellenwert der Künste dort

INTERVIEW CHRISTIANE KÜHL

taz: Die Biennale Bonn hat sich in 12 Jahren ihres Bestehens einen Namen als Forum für europäisches Autorentheater gemacht. Jetzt wird alles anders – Sie öffnen das Festival formal in Richtung Performance, Tanz, Film, Literatur und begrenzen es gleichzeitig topografisch, nämlich auf New York. Warum?

Klaus Weise: Wir haben eh viele europäische Stücke auf unseren Spielplänen, da ist der Blick in andere Kulturzentren von größerem Interesse. Die Öffnung der Biennale ist mir wichtig, und zwar auf zwei Ebenen: zum einen als Vernetzung in die Stadt Bonn hinein, wo wir in Verbindung mit lokalen Kulturträgern nicht nur die „eigentlichen“ Theaterräume bespielen; zum anderen will ich die strengen Genres öffnen, und gerade in New York haben sich Cross-over-Produktionen zwischen Theater, Tanz, Literatur und Video entwickelt, die vom deutschen Spartendenken weit entfernt sind.

Steffen Kopetzky: Wenn man ein neues Konzept ausprobiert, geht man natürlich nicht dahin, wo man sich nicht zurechtfindet. Auch deswegen war New York erste Wahl für uns: Als Einwandererstadt mit vielen europäischen Einflüssen ist sie eine vertraute Welt, und gleichzeitig, durch die völlig anderen Produktionsbedingungen, ist es ganz unvertraut.

Was konnten Sie denn finden in New York? Das Theater dort ist doch für unsere Augen meist konventionell und eher enttäuschend.

Weise: Man sollte sich hüten, sich zum Zensor aufzuspielen. New York ist eine Stadt, die ganz immanent mit dem breitesten Begriff von Kultur zu tun hat; ob das die verschiedenen Nationalitäten der Bewohner sind, die Küche oder die Kunstformen. Es gibt den Broadway, den Off-Broadway und den Off-off- Broadway, wo es überhaupt kein Geld gibt und trotzdem Theater gespielt wird. Und genau dieser Form der theatralischen Entäußerung intensiv nachzuspüren lohnt angesichts immer knapper werdender Ressourcen durchaus.

Kopetzky: Kein Raum, kein Geld, keine Zeit – das sind die drei Prämissen, unter denen in New York Theater gemacht wird.

Was kann New York uns denn da lehren? Wo Geld vorhanden ist, macht man Mainstream, und ansonsten beutet man sich aus?

Weise: „Ausbeuten“ – die Kategorie ist falsch. Man beutet sich immer aus in der Kunst. Man verausgabt sich. Aber in New York setzt sich Not nicht in Depression um, sondern in Geschwindigkeit. Nehmen Sie zum Beispiel das Konzept der 24 hours plays: Da werden Stücke innerhalb eines Tages geschrieben, probiert und aufgeführt. Dieses ritualisierte Geschrei, das bei uns einsetzt, wenn die öffentliche Hand an der Kultur spart, ist in Amerika undenkbar. Da lebt jeder davon, dass er nicht nur etwas kann, sondern auch die Mittel beibringen kann, mit denen er etwas realisieren möchte.

Welchen Einfluss hat das auf die Kunst?

Kopetzky: Zum Beispiel entsteht viel site specific work. Wenn ich weiß, es gibt kein reguläres Theater, das mein Stück zeigen würde, entwickle ich es für einen spezifischen Raum und versuche, den mitspielen zu lassen, einfach weil ich kein Geld für Kulissen habe. „The Last Supper“ von Ed Schmidt etwa spielt in einem Apartment in der 27. Straße. Man klingelt und sitzt in der Küche. Schmidt geht weg, er muss Pizza holen, weil das andere Essen nicht aufgetaut ist. Bis man merkt, dass alles, vom Klingelschild bis zu den Störungen, Inszenierung ist, ist das Stück vorbei, und man ist ganz bezaubert.

Weise: Der Alltag wird viel radikaler in die Produktionen aufgenommen, als das bei uns der Fall ist. Das europäische Theater rekurriert stark auf die Literatur. Die Amis erzählen Geschichten, da werden Lebensbereiche mit der Darstellung verbunden.

Gibt es etwas, das diese Produktionen inhaltlich verbindet?

Kopetzky: Eigentlich nicht. Das vorherrschende Thema ist der Mensch mit dem, was er mitbringt, wie er versucht Integrität zu finden und zu überleben. So wie Will Power in „Flow“ von den Wurzeln des HipHop als Märchen erzählt oder Spic Chíc in seinen Monologen von den Nuyoricans.

Weise: Man stellt nicht das Weltsystem infrage, sondern es wird im Einzelnen untersucht. Die Produktionen sind frei von Ideologie. Es werden Zustände benannt, mit technischen Mitteln addiert. Kritik wird geübt, aber da steht kein Erkenntnismodell dahinter, in dem am Ende alles zusammenläuft. „Alladeen“ der Builders Association ist da ein fantastisches Beispiel: Es geht um die absurden Ersatzwirklichkeiten von Callcentern, wo billige Arbeitskräfte in Indien sich am Telefon als Amerikaner ausgeben müssen. Das hat was von Klonen, was aber die Amis nicht gleich mit der Moralkeule bearbeiten, sondern erst einmal neugierig betrachten – und so bleibt das Stück absolut verführerisch.

Neben Theater präsentiert die Biennale auch Film, bildende Kunst und Literatur. Können Sie aktuelle genreübergreifende ästhetische Strategien ausmachen?

Weise: Nein, das muss die Sichtung während des Festivals zeigen. Aber dieser Impuls, von der eigenenen Biografie aus zu erzählen, ist viel zu beobachten. Da steht New York ganz in der Tradition Andy Warhols: sich selbst zum Kunstwerk machen. Diese Ichbezogenheit ist in Amerika eine Spur unverfrorener als bei uns. Vielleicht ist das auch eine Notwendigkeit von Leben und Überleben in dieser unglaublichen Stadt, wo nahezu alles möglich ist: Selbstbehauptung durch Darstellung.

In Ihrem Programm heißt es: „New York ist die wichtigste Stadt Amerikas.“ Da drängen sich zwei Fragen auf. Die erste wäre: Liegt New York überhaupt in Amerika?

Kopetzky: Gute Frage … New York ist ein Territorium, das weder Amerika noch Europa ganz gehört. Geprägt von Europa, aber eine Metropole Amerikas. Man fühlt sich dort wie ein tölpelhafter Provinzler, das gilt für mich wie für den Mann aus Kansas. Man darf nicht vergessen, dass der gemeine Amerikaner die Stadt keinesfalls liebt. Nichts lässt die Kinokassen so klingeln wie ein außerirdisches Raumschiff oder eine Riesenechse, die New York zerstören.

Oder eine Eiszeit oder ein dumm-gefährlicher Präsident. Womit wir bei der Frage wären: Ist das nicht schöngeistige Ignoranz, New York für wichtiger als Washington zu halten?

Weise: Nein, anders: Vermutlich ist Hollywood die wichtigste Gegend Amerikas, weil da die Macht über die Bilder sitzt. Die bestimmt unsere Welt, unsere Vorstellungen. New York ist viel oppositioneller, subversiver, es ist intellektuell und künstlerisch zerrissener – daher befragen wir es mit großer Neugierde. Unser Festival ist geprägt durch Neugierde, echte Entdeckungen.

Sind explizit politische Arbeiten eingeladen?

Weise: Explizit politisch ist die Auswahl vom Gay-and-Lesbian-Filmfestival, die wir im Kino zeigen.

Kopetzky: Es ist auffällig, wie wenig in Amerika von Dingen gesprochen wird, die vorbei sind. Auch der 11. 9. ist wie etwas, was man im Rücken hat, wo man starr nach vorne schaut. Was auf einer Angststarre beruhen mag. Man merkt aber auch, dass die New Yorker es ihrer Regierung übel nehmen, dass sie die Wunde New York nutzt, um ein repressives System durchzusetzen, aber die Probleme New Yorks keinen interessieren. Das Knirschen in den Fahrstühlen, der Stromausfall. Man spürt eine New Yorker Doppelbefindlichkeit: das Bedürfnis nach Sicherheit und die Angst, einem Sicherheitsapparat gegenüberzustehen.

Spiegelt sich das in den Produktionen wider?

Kopetzky: Beim Theater müssen viele Widerstände überwunden werden, bevor eine Produktion auf der Bühne ist, dass nicht kurzfristig reagiert werden kann. Deswegen stellen wir neue Stücke in szenischen Lesungen vor. Da spielt das Thema Sicherheit eine große Rolle, insbesondere in „Safehouse“ von Lydia Stryk.

Weise: Die Künstler haben ein großes Bedürfnis, sich in Europa zu präsentieren; auch um zu zeigen, dass es einen anderen als den kriegstreibenden Teil von Amerika gibt. Es bedurfte keiner Verführungskünste, die Künstler hierher zu holen.

Ist Ihnen in New York auch so viel Bewunderung für Berlin entgegengeschlagen?

Kopetzky: Also … man erzählt sich Wunderdinge.