: „Eine Welt brach zusammen“
Eine 16-jährige Türkin floh vor einer Zwangsheirat in die Kriseneinrichtung Papatya. Heute lebt sie in einer westdeutschen Großstadt. Ein Protokoll
„Ich wurde vor 16 Jahren in der Türkei geboren und wanderte mit meiner Familie nach meinem 5. Lebensjahr nach Deutschland aus, da wir wegen unserer Religion politisch verfolgt wurden. Wir sind Christen. Als ich auf die Oberschule kam, konnte ich nicht ahnen, dass meine Eltern alles daransetzen würden, um mich nicht mehr zur Schule zu schicken. Ihr Argument war, dass ich ein Mädchen bin und sowieso Hausfrau werden würde.
Meine Eltern hatten vor, mich mit meinem Cousin zu verheiraten. Sie beschlossen das, als ich 8 Jahre alt war. Sie haben mich erst davon in Kenntnis gesetzt, als ich 16 war. Für mich brach eine Welt zusammen. Einen Jungen zu heiraten, den ich nicht liebte, war unvorstellbar für mich. Bis jetzt konnte ich nie über mein Leben entscheiden, immer wurde mir vorgeschrieben, was ich zu tun hatte. Aber ich dachte, mir würde wenigstens die Freiheit zugesagt werden, meinen zukünftigen Gatten selbst auszusuchen.
Ich war verzweifelt und niedergeschlagen. Ich beschloss von zu Hause wegzugehen. Ich war circa drei Wochen in einer Kriseneinrichtung. In der Zeit gab es zwei Gespräche mit meinen Eltern. Ich ging wieder nach Hause, nachdem mein Vater versprochen und unterzeichnet hatte, die Verlobung aufzulösen. Weiterhin hatte er versprochen, mir zu erlauben, die Schule zu besuchen. Ungefähr einen Monat hielt mein Vater seine Versprechen. Nach kurzer Zeit kam aber schon mein Onkel und versuchte mich wieder zur Heirat zu überreden. Obwohl ich Respekt vor ihm habe, habe ich wieder Nein gesagt. Ich bemerkte, dass mein Vater die Hochzeit vorbereitete.
Meine verzweifelten Versuche meinem Vater begreiflich zu machen, dass ich meinen Cousin nicht heiraten wollte, misslangen mir. Er schlug mit Fäusten auf mich ein. Er schlug mir auch ins Gesicht und auf den Rücken und trat immer wieder auf mich ein. Anschließend kam er mit einem Messer auf mich zu, er versuchte mich zu treffen, da kam meine Mutter dazwischen.
Zwei Wochen vor der Hochzeit wurde ich in der Wohnung meines Bruders eingeschlossen. Weiterhin wurde ich gewarnt, abzuhauen. Mein Vater brächte mich sonst um. Er drohte auch, alle, die mir helfen würden, zu töten, z. B. auch den Sozialarbeiter vom Jugendamt. Ich versuchte, aus der Wohnung herauszukommen, aber es war immer jemand da, der auf mich aufpasste. Nach drei Tagen hatte ich die Gelegenheit telefonisch Hilfe zu holen. Ich wurde von der Kripo abgeholt und sicher untergebracht.
Ich möchte nicht mehr nach Haus zurückgehen. Ich habe keine Hoffnung, dass meine Eltern sich ändern werden. Ich habe auch Angst, dass mein Vater seine Drohungen wahr macht.“
Den leicht gekürzten Text haben wir mit freundlicher Genehmigung einer Broschüre des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung entnommen.