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Archiv-Artikel

Das lebendigste Haus

Es soll pumpen und dampfen, jeden jungen Abend bis in jede tiefe Nacht hinein: Zum Tod von Norbert Karl, der das Nachtleben in Hamburg neu erfand und die Hansestadt damit in den Neunzigerjahren in die vorderste Front der Clubszene brachte

VON SCHORSCH KAMERUN

Lebendige Häuser hält der Tacker zusammen. Jede kleine Metallspange aus dieser hilfreichen Blechpistole steht für einen Einfall, der etwas vereinen soll. Man befestigt damit Plakate, auf denen kommende Taten angekündigt werden. Es werden Kabel ans Holz fixiert, die in Lampen enden, welche wiederum Ausschnitte beleuchten, wo sich Treffpunkte im Hellen ergeben. Unmittelbar lässt es sich gestalten bei schnellem Bedarf. Hier muss keine Zahlenberechnung angeführt werden, präzise Statik wäre der Tod des direkt eingreifenden Schusses. Das lebendige Haus wird ständig getroffen, damit es nicht ermüdet. Es soll pumpen und dampfen, jeden jungen Abend bis in jede tiefe Nacht.

Die Haustüre des Tackermeisters war nicht ein einziges Mal abgeschlossen in vielen Jahren. Er hat es gut versorgt mit seinen geschickten, anregenden Pieksern. Und er hat die Menschen, die es aufsuchten, gleich voll mit versorgt. Es ist die reine Wahrheit, jetzt zu sagen, dass es keinen besseren Versorger gab als ihn. Alle haben gleich viel abbekommen, und das ständig. Eine riesige Kraftmenge erlaubte es ihm, ganz viel zu verteilen. Die ganze Gegend war übersät mit seinen bunten Abdrücken, weil er immer unterwegs war, um einzelne Farben aufzunehmen und sie dann, als bunten Ball zusammengefügt, in seinem lebendigen Haus springen zu lassen. Dieses Haus heißt noch heute „Golden Pudel Klub“ und es hat seinen größten Lebensfüller soeben verloren. Norbert Karl, der „Wiener Norbert“, ist am Sonntag, dem 6. Juni, gestorben.

Anfang der Neunzigerjahre erlebte St. Pauli ein Comeback als Ausgehviertel für eine meist unabhängige Szene im Schatten der boomenden Musical- und Kabaretttheater. „Mitternacht“, „Kaspers Ballroom“, „Sparr“, „Komet“, „Rosis Bar“, „Tempelhof“, „Sorgenbrecher“ und später dann „Heinz Kramers“ und unser „Golden Pudel Klub“ waren die Ausläufer der Hamburger Punk- und Indieszene des vorherigen Jahrzehnts. HipHop und Techno flossen langsam mit ein.

Norbert Karl und Nick Scofield machten den Tanzclub „Tempelhof“ und gegenüber die Absturzkneipe „Sorgenbrecher“ auf dem Hamburger Berg. Eine heftige Mischung. Rocko Schamoni und ich haben zweieinhalb Jahre abwechselnd in den beiden Clubs hinter dem Tresen gestanden. Da war alles dabei. Im Gegensatz zu seinem ausufernden Partner Nick blieb Norbert immer gleichmäßiges Rückgrat. Er brachte die Eismaschine im richtigen Moment unter die wichtige Null. Norbert hat den x-ten Pistazienautomaten wieder an den Pfeiler gekettet, wenn wir ihn wieder mal an der Wand zerbrochen hatten. Er konnte immer alles klarmachen. Kaum jemand kannte die Kiezkanäle so gut. Er war präsent und eindeutig da, aber immer auch ein wenig vom Lkw gefallen. Seine Finanzwinkeleien waren legendär und notorisch hallodrisch (der Gerichtsvollzieher schaffte es bis zur dörflichen Haustür meiner Mutter).

Norbert war eigentlich nicht der klassische Szenewirt, da ihn die feinen internen Unterschiede nicht so wirklich angingen. Das machte ihn völlig modenunabhängig. Dennoch hatte er ein wunderbar freies Gespür für Leute, bei denen was ging. Er wusste Läden zu besetzen mit Menschen, die auf einer Wellenlänge waren. Norbert Karl stand Pate. Er hat die Flächen mit zur Verfügung gestellt, auf denen die Erneuerungen tanzten.

Es war Norbert, der Rocko und mich bei der Hand nahm und in den ehemaligen Schmugglerknast am Hafen führte und uns schließlich auch dazu bewog, einen, sozusagen, ständigen Ort zu eröffnen. Er hat die tägliche Betriebsarbeit gemacht, Buffets aufgebaut, wenn die montägliche „Nomadenoase“ Ausstellungseröffnung hatte, das Wechselgeld geholt, die ewige Saufe, das Alles für jede Nacht.

Es war eben seine Profession, mit den Menschen zu reden. Mit dem Getränkehändler am Nachmittag genauso wie am Abend mit dem jungen HipHopper, der gerade das voll krasse Tag ans Wellplastikdach sprüht, oder dem Haschdealer, der es nicht persönlich nehmen soll, aber es wäre einfach nicht so gut für den Laden, wenn er sein Zeugs wirklich öffentlich im Garten anbieten würde.

Der universelle Tonfall des Wiener Profis und das wirkliche Interesse für all die Unterschiedlichen machten ihn zu dem, was er war: der beste Gastgeber weit und breit. Die komplette Hamburger Musikszene hat sich als Gäste oder Mitarbeiter am richtigen Ort gefühlt, auch weil Norbert der Hipness das Prätentiöse nahm. Popstars hinter dem Tresen fühlten sich normal, wenn Norbert zum Marillenschnaps lud. Wir alle haben ein riesiges Herz verloren.