: Der Klinkenputzer
Harald Wetzel sammelt leidenschaftlich Türklinken der besonderen Art: Den Gropius-Drücker
Die Klinke senkt sich, die Tür wird geöffnet. Harald Wetzel bittet in sein Haus in Dessau-Ziebigk. Er lässt die Klinke los, doch nur mit der Hand: Eloquent spricht er über diesen Gegenstand, den er offenkundig liebt: Eine Türklinke. Doch nicht irgendeine Klinke begeistert den bärtigen Mann mit den kurzen, graumelierten Haaren. Diese besondere Version gestaltete Walter Gropius 1922 selbst, gemeinsam mit Adolf Mayer, einem engen Mitarbeiter des Bauhausmeisters; sie heißt auch nicht Türklinke, wie der Laie sie bezeichnen würde, sondern Drücker. Die Welt der Türdrücker ist überraschend groß, Wetzel erzählt von Materialien wie Bronze und Eisen, Granit und Horn, von verschiedenen Längen, die sich den Türgrößen anpassen mussten, von Urvarianten - das früheste Modell findet sich im Haus am Horn in Weimar - von Zwischenvarianten, Nachgüssen, Re-Design, von Beschlägen, Langschildern, Schlüsselrosetten und Fensteroliven.
Rasch erzählt Wetzel zwischendurch sein Leben. Fast erscheint das alles nebensächlich, verglichen mit dem Gropius-Drücker. Aufgewachsen ist Wetzel in der Siedlung Törten, am südlichen Stadtrand von Dessau, in einem der von Walter Gropius geplanten Reihenhäuser. Seine Großeltern zogen 1929 dort ein. Auch seine Eltern lebten in der Siedlung, bis sie 1966 ihr Häuschen verkauften. Damals spielte der 13-jährige Harald noch in den Schlippen, den schmalen und staubigen Wirtschaftswegen zwischen den Häusern. Ab und an schlich ein Westauto durch die Siedlung - Gropius-Fans aus dem anderen Teil Deutschlands, auf Sightseeingtour durch die kommunistische Bauhausstadt.
Zurück zur Klinke! Ein wenig versteht man Wetzels Liebe. Das schlichte Design erfüllt eine tiefe Sehnsucht nach Perfektion. Ein rechtwinklig geknickter Vierkantstab und daran eine zylindrische Griffrolle. So naheliegend scheint die Idee, dass man sie kaum für einen großen Wurf halten möchte; doch sie ermöglichte erst das nüchterne Raumerleben in den schmucklosen Gropius-Häusern. Wie hätten die damals üblichen verschnörkelten Jugendstilklinken darin gestört. Im Guinness-Buch der Rekorde steht Wetzel noch nicht, und doch besitzt er die vermutlich größte private Gropius-Drückersammlung der Welt. Viele der rund 750 Beschlagteile fand er zufällig, wenn er - den Blick immer auf die Türbeschläge gesenkt - durch leerstehende Fabrikgebäude oder Krankenhäuser wanderte. Eines seiner Schmuckstücke öffnete jahrelang eine Gartentür beim Nachbarn. Als er bemerkte, dass das Tor ersetzt werden sollte, rettete er die Klinke vor dem Altmetall-Container. Nun ziert sie seine Sammlung.
Auch die neuen Medien kommen seiner Leidenschaft entgegen. Täglich durchforstet Wetzel das Internet nach neuen Angeboten. Zwischen 100 und 180 Euro bieten Sammler für ein Paar Klinken bei Ebay, auf dem traditionellen Kunstmark weltweit sogar bis zu 400 Euro. „Ja, ein teures Hobby ist das“, räumt Wetzel ein und lächelt leicht. „Aber ich würde auf die Anschaffung eines neuen Autos verzichten, wenn ich statt dessen einige besonders gut erhaltene Gropius-Drücker zur Ergänzung der Sammlung fände.“ Doch Wetzel sammelt nicht, um zu besitzen. Ein wahrer Sammler liebt seine Dinge und engagiert sich für sie: Wetzel veröffentlicht Aufsätze über den Drücker, betreibt eine Homepage im Internet, auf der sich die Drücker-Freunde austauschen können. Er organisiert - in zeitraubender Liebe zum Detail - selbst Ausstellungen; demnächst in der traditionsreichen Gießereistadt Heiligenhaus bei Essen. Viel Arbeit, die ebensoviel Idealismus fordert. Schön wäre es, so Wetzel, wenn er damit etwas Geld verdienen könnte. Doch wer bezahlt schon etwas für eine Echtheits-Expertise eines Drückers, fragt er lächelnd. „Hauptsache, es macht Spaß! Und den habe ich“, versichert er, während er die Türe öffnet. Der letzte Blick fällt auf die Klinke - den Drücker, vielmehr: Re-Design, Vierkantstab, schwarzer, zylindrischer Griff.
Gregor F. Lüthy