Exzentrische Bahnen

Luigi Nonos monumentales Chor- und Orchesterwerk „Prometeo“ wird im Herbst Ingo Metzmachers letztes Hamburger Musikfest krönen

Er war ein Schöpfer und Rebell. Ein Wissender, Lehrer, Evolutionsbeschleuniger. Aischylos hat ihn „Empörer“, Karl Marx „Töter der Götter“ genannt: Uneins sind sich die Adepten bezüglich der Frage, ob es Segen oder Fluch war, dass Prometheus den Menschen das Feuer brachte. Dass er es – ob vom Olymp oder direkt aus Hephaistos‘ Schmiede – dem Zeus entwendete, es ihm schnöde beim Opfer raubte.

Man kann es auch pragmatisch sehen: Erst das Feuer erlaubte den frühen Hominiden, Fleisch gekocht statt roh zu verzehren, somit die lethargischen Verdauungszeiten zu verkürzen und für Zivilisatorisches zu nutzen. Ein entscheidender Schritt also, sich dieses Elements zu bemächtigen; rebellisch auch, sich der Gottheit zu widersetzen, die der Menschheit nicht nur die Flammen vorzuenthalten, sondern sie auch gänzlich zu vernichten trachtete, weil zu zart geraten. Und sein Wissen über den Untergang des Göttergeschlechts – Prometheus verriet es auch unter Folter nicht.

Die Auflehnung zelebriert auch Luigi Nonos monumentales Chor- und Orchesterwerk Prometeo, das, gespielt vom Ensemble Resonanz, das letzte von Ingo Metzmacher initiierte Hamburger Musikfest im September krönen soll. Vier akustische Orchester, etliche Gesangs- und Instrumentalsolisten sowie Sprecher und ein Chor werden, auf zwölf bis 15 Orte verteilt, Klänge durch die Musikhalle schicken; eine Woche wird der Aufbau der Klang-Installation, die für jeden Konzertsaal neu erfunden werden muss, erfordern. Zentrale Figur wird dabei André Richard am Mischpult sein, der bislang jede Präsentation des 1984 in Venedig uraufgeführten Stücks prägte. Und da Richard mit dem Gedanken an Rückzug spielt und sein Part, einem alten Handwerk gleich, in geduldiger Anleitung weitergegeben werden muss, könnte dies die vorerst letzte Aufführung des Prometeo sein.

In eine Mischung aus akustischen und – teils am Saalfirmament kreisenden – elektronischen Klängen zieht Nono Zuhörer und Musiker hinein, macht das Werden und fast augenblickliche Vergehen von Klängen sinnlich, zieht Töne in Choreographien und Tempi durch den Raum, die das Publikum unweigerlich abhängen müssen.

In die Nähe des virtuellen, sich selbst auslöschenden, vielleicht in musikalische Schwarze Löcher eingesaugten Klangs begibt sich Nono mit seinem innerlichsten Werk, das er selbst als „Weg nach innen“ bezeichnete. Das archaische Werden und Vergehen, Prinzip allen Schöpfens, gekoppelt mit intuitivem Wissen um Rhythmus wahrt Prometheus; er weiß um die andere Seite der Endlichkeit. Der Glaube an eine gerechtere Welt, eine konkret gerechtere Gesellschaftsform scheint hier in der Komposition des überzeugten Kommunisten Nono auf. „Eine riesige Vision“ sei das Stück, sagt Ingo Metzmacher, der zur nächsten Saison als Chefdirigent der Nederlands Opera nach Amsterdam wechselt.

Doch nicht nur der Abfolge nach geriert sich Prometeo als Schöpfungsgeschichte: Einem zweiten Schöpfer gleicht auch Prometheus, der – transponiert in christliche Begriffe – Erkenntnis, Sündenfall und damit menschliche Autonomie initiiert; gleich dahinter lauert die Schwierigkeit, mit dem Gewonnenen umzugehen.

Als „endlos Wandernden“ bezeichnete Nono den Prometheus. Als einen, der sich, wie Hölderlins Hyperion, in exzentrischen Bahnen echten und falschen Göttern, Erkenntnis und Zweifel nähert. Aus Texten von Aischylos, Herodot, Euripides, Hölderlin und Walter Benjamin hat Nono die Textpartien des Prometeo komponiert und Textverständlichkeit explizit untersagt: „Der Text soll niemals gelesen werden, aber gehört und gefühlt“, so die Partituranweisung.

Als Ur-Texte der Menschheit mag Nono diese Zeugnisse gelesen haben, als Fundus einer Welt, die keiner prinzipiell neuen Inpulse bedarf, sondern des frischen Zugriffs auf bereits vorhandene Quellen. Ende und Anfang einer Ära markiert der Stoff, das Ende eines hierarchischen Pantheons sowie die vielleicht irgendwann einsetzende Rückbesinnung des Menschen auf seine Verbindung mit dem Kosmos.

Elliptische Klangbewegungen illustrieren dies, denen man durch den Raum folgen kann, die sich entziehen und chamäleonartig Ort und Gestalt wechseln. Und deren Bewegung letztlich nie versiegt, auch wenn die zweimalige Aufführung des Prometeo – zu Beginn und zum Ende des 24-stündigen nonstop-Musikfests – das suggerieren. Petra Schellen