: Auffällig mittendrin
Eintrag ins Branchenbuch: Reinhart Hammerschmidt gehört zu Deutschlands besten Illustratoren. Deshalb firmiert er in „Freistil“
Was heißt eigentlich illustrieren? „il|lu|strie|ren ([durch Bilder] erläutern; [ein Buch] mit Bildern schmücken; bebildern)“, schreibt der gute alte Duden. Immer noch ein praktisches Buch, schmucklos zwar, unbebildert, und noch nicht einmal rechtschreibreformiert. Aber er bringt’s einfach auf den Punkt: Illustrieren heißt erläutern.
Also ist der Wahl-Bremer Reinhart Hammerschmidt ein Erläuterer. Und zwar ein guter. Im deutschen Sprachraum sogar einer der besten. Das sagt der Freie Grafiker nicht selbst: Das hat eine Jury so festgestellt, zwei Fachfrauen, drei -männer und Raban Ruddigkeit, der als Herausgeber des Nachschlagewerks „Freistil“ firmiert. Und jetzt steht’s, in English, auf dem schillernden Buchdeckel: „best of german commercial illustration“.
„Es ist nicht so, dass das Telefon heiß gelaufen wäre“, sagt Hammerschmidt. Aber „eine schöne Referenz“ sei es doch. Von 600 Einsendern haben 175 den Sprung in die Sammlung geschafft: Hammerschmidt mit seinen Programmheften für Festivals der Projektgruppe Neue Musik und einem Plakat fürs Hamburger „Open Windows“-Jazz-Festival 2002.
Kein zufälliges Thema: Länger noch als die Liste seiner bildnerischen Arbeiten ist die von Hammerschmidts Konzerten und Einspielungen. Jazzbassist, das hat er zuerst gelernt. 1987 war er Finalist der European Jazz-Competition. Und auch nach dem Grafikstudium in Trier und an der Hochschule für Künste arbeitet er professionell auf Konzertpodien. „Mich interessiert die Schnittstelle zwischen Kunst und Musik.“
Die „Freistil“-Sammlung ist nicht hierarchisch sortiert. Sicher auch, weil nach Einschätzung des Herausgebers bei der Illustration hierzulande „das Mittelmaß regiert“. Andererseits war ein ranking nicht das Ziel der Publikation, sondern ein Überblick über die Szene. Das Buch erläutert bildlich, was heute im deutschen Sprachraum illustrieren bedeutet. Das Auswahlkriterium sei gewesen, so Ruddigkeit, „dass ein bestimmtes handwerkliches Niveau nicht unterschritten“ werde. Etliche „gut verdienende Hamburger Grafiker“ habe man deshalb aussortiert.
In einer alfabetischen Ordnung aufzufallen, ist andererseits nicht leicht. Vor allem, wenn der Nachname mit H beginnt: Das ist immer unspektakulär irgendwo mittendrin. Hammerschmidts Arbeiten gelingt das Kunststück dennoch: Sie verweigern sich dem Trend. Der hat zwar vielfältige Ausprägungen, vom neobarocken Cartoon (Rainer Ehrt) über Peinture-Brute-Design (Kitty Kahane) bis zu techno-inspirierter Grafik (Georg Wagner) ist alles dabei. Aber er führt deutlich zur Abbildung. Hammerschmidt hingegen komponiert, leise, lakonisch, zurückhaltend. Statt schwitzender Saxofonisten und anderer Bilder aus der Welt der Musik zeigt er, ganz im Gegenteil, eine musikalische Bildwelt – Verschaltungen, Formen, grafische Rhythmen. Und sie verschafft selbst dem einen Begriff von Musik, der, mangels Ohren, keinen Zugang zu ihr hätte: Nicht der geringste Anspruch, den ein Erläuterer erfüllen kann.
Benno Schirrmeister
Freistil, Verlag Hermann Schmidt, 470 Seiten, 39,80 Euro