„Jetzt weiß ich, wie die Feindbilder aussehen“

Ruhrfestspiele vor leeren Stühlen – nur 19 Zuschauer bei der Ruhrpott-Muse Tana Schanzara oder dem Schalke-Intellektuellen Yves Eigenrauch. Frank Castorf sprach mit der taz über seine erste Spielzeit in Recklinghausen

taz: Frank Castorf, nur 32 Prozent Auslastung bei ihren ersten Ruhrfestspielen. Glauben sie allen Ernstes, dass sie die Zuschauerzahlen im nächsten Jahr steigern können?

Castorf: Ja. (Lange Pause) Ich habe nicht gedacht, dass so ein Einbruch stattfindet. Ich habe gehofft, dass viele aus Gewohnheit wiederkommen und die anderen dann dazu stoßen, so dass man auf die gleichen Auslastungs-Zahlen kommt.

Der Aufsichtsrat hat gedacht, eine 70-prozentige Auslastung wäre möglich.

Der Aufsichtsrat wollte niemanden verlieren und die anderen dazu gewinnen. Das war eine Illusion, gerade wenn etwas Neues vorgestellt wird.

Bei den Gewerkschaften war ein enormer Einbruch der Kartenverkäufe zu verzeichnen?

Ich hänge da keinen Verschwörungstheorien nach, aber ich glaube, es gibt eine sehr direkte, indirekte Verabredung, uns ausbluten zu lassen. Vielleicht sagt man dort jetzt: Schnell noch mal einen Schnitt mit Schmerzen und reagiert mit deutlicher Enthaltsamkeit.

Und die anderen?

Wir haben das klassische Rückgrat total verloren. Zum Beispiel bei den Freunden der Ruhrfestspiele, die immer als Multiplikatoren fungierten.

Gibt es dafür Ursachen?

Im Januar wurde der Wirtschaftsplan bestätigt, deshalb konnten wir erst spät die Verträge machen. Der Oberbürgermeister von Recklinghausen, Wolfgang Pantförder, hat sich da sehr fair verhalten. Aber die Gewerkschaften – das war hammerhart! Die haben Angst, die Ruhrfestspiele an die Triennale zu verlieren, waren wahnsinnig distanziert, haben mich immer für Mortier gehalten. Gut ist, dass man jetzt weiß, wie die Feindbilder aussehen. Wir wissen jetzt um die Positionierung der Gegnerschaft.

Welche Fehler haben sie gemacht?

Große Seminare in Soziologie zu veranstalten – da muss man überlegen, ob das immer richtig ist. Ich glaube, dass man im Vorfeld die Menschen anders abholen muss. Aber dieses Festival hat auch einen Auftrag, das vorzustellen, was in den Medien immer weniger vorkommt. Ich glaube, dass auch solche Festivals die Aufgabe haben, sich extrem in einen gesellschaftlichen Diskurs einzumischen. Aber es gibt auch andere, die nicht wissen, was das eigentlich ist. Ist das intellektuelle Überheblichkeit oder eine Übernahme aus Berlin – da verhalte ich mich als Besucher erst mal distanziert. Ich denke, dass wir vieles auch zu breiig gemacht haben, zu wenig selektiv, so dass niemand das Wichtige vom Unwichtigen trennen konnte.

Also haben die Menschen zu wenig verstanden?

Man hätte auch mehr erklären müssen. Ich sag mal das furchtbare Wort: Animateure. Wir haben es nicht geschafft, junge Leute in dem Ausmaß zu animieren, wie es erforderlich gewesen wäre. Es kann auch sein, dass ich zu wenig hier war.

Hätte man die Restkarten nicht einfach verschenken können, an Arbeitslose und Jugendliche?

So was ist im Aufsichtsrat schwierig durchzubekommen. Wir hätten viele verschenken können, aber es waren ja keine Leute da, denen wir sie geben konnten.

Ist also doch zu wenig Werbung gemacht worden?

Nun, der Flyer war unübersichtlich, dass sehe ich auch so, aber allein die Werbung durch Christoph Schlingensiefs Wagner-Rallye. Den muss nicht jeder gut finden, aber er ist verstörend. Mehr Werbung kann man nicht haben, jeden Tag Frühstücksfernsehen, überregionale Tagespresse und so weiter.

Liegt das Ruhrfestspielhaus in der falschen Stadt?

Wenn man hier kein Auto hat, hat man verloren. Wenn man bis ein Uhr hier gesessen hat und will dann nach Essen, dann sitzt man erst eine Stunde in Wanne Eickel. Das ist zu kompliziert, da muss man dran shutteln.

Gibt es ein zweites Jahr?

Ich rede jetzt mit dem Aufsichtsrat. Die Grundausrichtung möchte ich unbedingt beibehalten. Aber den Glamoureffekt, den muss man natürlich auch treffen, im nächsten Jahr wird es im großen Haus Opern geben und Marthaler, weil man damit ja auch punktet. Trotzdem werden viele im nächsten Jahr auf den Infight mit den Gewerkschaften schauen. INTERVIEW: PETER ORTMANN