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Archiv-Artikel

Diplomatische Beziehungen

Alle drei Jahre Koffer packen und in ein anderes Land ziehen – wer für das Auswärtige Amt arbeitet, muss flexibel und weltoffen sein. Aber auf eine Partnerschaft sollte er wegen seines Jobs nicht verzichten müssen

VON JUDITH LUIG

Andreas G. ist dunkelhaarig, breitschultrig und gut aussehend. Er ist aufmerksam und kommunikativ – und das gleich in mehreren Sprachen. Ein Mann, dem eine Frau auf der Suche nach Ehemannmaterial durch die ganze Welt nachjagen würde. Und das müsste sie wohl auch.

Denn Andreas G. arbeitet beim Auswärtigen Amt. Das heißt konkret: Alle drei Jahre Kisten packen, umziehen, neue Freundeskreise aufbauen. Momentan ist Andreas G. gerade in Berlin auf Posten. „Bei dem Job“, sagt er und lacht, „ist man ist ein bisschen wie Madonna. Man kann sich immer wieder neu erfinden.“

Allerdings wäre so eine Jagd auf Andreas G. aussichtslos – denn der Posten an seiner Seite ist bereits vergeben: an David. Nur leider kann der nicht ganz so uneingeschränkt durch die Welt ziehen, wie Alexanders Beruf das verlangt. Andreas G. könnte schon im nächsten Jahr in eine der 222 Vertretungen Deutschlands weltweit geschickt werden. Dann muss das Auswärtige Amt eine formelle Anfrage an das Gastland senden und um ein zusätzliches Visum für den Partner bitten. Und Andreas G. wird sich vorher genau informieren, was ihn und David in dem Land erwarten könnte.

Die Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, die zu Beginn der Sechzigerjahre geschlossen wurden, sichern mitreisenden EhepartnerInnen ganz selbstverständlich das Aufenthaltsrecht im Gastland. Nicht so aber den LebenspartnerInnen. Die sieht das internationale Recht gar nicht vor.

Auch die deutschen Diplomaten mussten sich erst an die neue Etikette gegenüber homosexuellen Paaren gewöhnen. Vor vier Jahren brachte Andreas G. im Rahmen der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit zum ersten Mal David als seine offizielle Begleitung zum Empfang mit. Er hatte explizit dazu auffordern müssen, dass man David mit einlädt. „Das ist mein Partner“, erklärte er bei der Vorstellung dem Generalkonsul. Der stand nur eine Sekunde auf dem Schlauch. „Partner, in welcher Hinsicht?“ Aber dann schaltete er: „Ah, sehr erfreut.“

Homosexuelle im Auswärtigen Amt? Es gab einmal eine Zeit, in der das in Deutschland einen Skandal bedeutete. Philip Fürst zu Eulenburg, im diplomatischen Dienst in München und Wien, wurde um die vorletzte Jahrhundertwende übelst angegriffen. Er habe, so der öffentliche Vorwurf, homoerotische Beziehungen zu Kreisen um den Kaiser und Reichskanzler Bülow aufgebaut und beeinflusse so auf undurchschaubare und liederliche Weise das politische Geschehen. Eulenburg sagte mehrmals aus und brach schließlich vor Gericht bewusstlos zusammen.

Aber das ist über hundert Jahre her. Besonders in den letzten Jahren, sagt Andreas G., ist die Atmosphäre im Amt immer offener geworden – nicht zuletzt seit dem Regierungswechsel und Klaus Wowereits „Das ist auch gut so“. Seit 1994 gibt es Rainbow, einen Arbeitskreis von schwulen und lesbischen Diplomaten. Am Anfang traf sich Rainbow nach interner Absprache noch „zufällig“ in der Teeküche, um Homofragen zu erörtern. „Es sollte nicht zu öffentlich aussehen. Man wollte sich noch nicht outen“, so Andreas G..

Im Februar 2000 folgte der erste Runderlass gegen die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. Damit ist das Auswärtige Amt zur ersten Bundesbehörde geworden, die sich explizit um die Gleichstellung homosexueller Partner bemüht.

Nicht bei allen Botschaftern ist die neue deutsche Erleuchtung angekommen. Es gab Geschichten wie die eines schwulen Paares, dem es in einem abgelegenen und extrem heißen Winkel der Welt nicht erlaubt war, den Pool auf dem Botschaftsgelände zu benutzen. Andreas G. selbst hat keine konkreten Fälle von Diskriminierung erlebt.

In den Sechzigerjahren, erinnert sich eines der älteren Mitglieder von Rainbow, waren Schwule und Lesben mit ihren Problemen auf sich allein gestellt und mussten alles individuell mit dem Personalreferat lösten. „Da musste man immer wieder von vorne anfangen.“ Anfang der Achtziger wurde ein spektakulärer Fall innerhalb des Amts bekannt. Ein Homosexueller, glaubte, sein Partner habe ihn verlassen, musste aber feststellen, dass die Regierung des Landes seinen Freund unmittelbar nach der Abreise des Diplomaten hatte verhaften lassen. Erst durch den Einsatz Willy Brandts, damals Vorsitzender der sozialistischen Internationalen, ließ man ihn nach zweieinhalb Jahren Arbeitslager frei.

So etwas könnte auch heute noch passieren. Nach Angaben von Spartacus, einer Autorität unter den Homo-Reiseführern, den auch die schwulen Diplomaten konsultieren, ist in fast der Hälfte der Länder weltweit schwuler Sex illegal. In Afrika, im Mittleren Osten und in Asien können Gefängnisstrafe drohen, in einigen Ländern sogar die Todesstrafe. Schwule und lesbische Mitarbeiter des Auswärtigen Amts genießen diplomatische Immunität – doch was ist mit ihren PartnerInnen, die vielleicht nur ein Touristenvisum bekommen? Und wie lässt es sich in einem Land leben, in dem Homosexualität strafbar ist?

Andreas G. reagiert diplomatisch: „Ich bin nicht berufsschwul“, sagt er. „Ich gehe nicht in ein Land, um dort auf ein tolles ‚schwules Leben‘ zu treffen oder das Evangelium des Lebenpartnerschaftsergänzungsgesetzes zu verbreiten.“ Die meisten seiner Kollegen ließen sich gern auf alle Posten der Welt entsenden. „Schwul oder nicht: das sollte keinen Unterschied machen.“

Heute muss man sich als schwuler Diplomat nicht mehr vor dem großen Skandal fürchten. Es sind eher Alltagsdinge, die zu Spannungen führen können. Im vergangenen Jahr war Andreas G. in Saratow, in Russland. Als er dort ohne Partner, aber mit viel Schokolade für die Kolleginnen auftauchte, weckte der Mittdreißiger das weibliche Interesse. „Aber ich wollte ja kein Verwirrspiel.“ Also erzählte er den russischen Mitarbeitern vor Ort bei einem Kneipenabend, dass er seit drei Jahren mit einem Mann zusammenlebt. „Da war es erst mal sehr still am Tisch.“ Später traute sich eine zu fragen: „Und freust du dich auf deinen Freund, wenn du wieder nach Berlin kommst?“ Andreas G. lacht: „Ich glaube, das war für einige Mitarbeiter das erste Mal, dass sie von jemandem selbst gehört haben, dass er schwul ist. Und nicht nur über ihn.“ Er fragte zurück: „Hast du denn keine schwulen Freunde?“ Da blockte die Russin ab: „Mit der Thematik habe ich mich noch nicht beschäftigt.“

Seit 1994 arbeitet der Schwulen- und Lesbenarbeitskreis des Auswärtigen Amtes daran, dass ihr Arbeitgeber sich durch die Vertretungen vor Ort über die Lebensumstände von Homosexuellen in den Gastländern informiert. Oft ist das aufgrund von vagen Formulierungen der Gesetze schwierig. Nicht in jedem Staat, in dem sexuelle Akte zwischen Männern illegal sind, werden Schwule in aller Konsequenz verfolgt. Oft gibt es trotzdem eine Szene. „Doch die Subkultur nützt nichts, wenn der Freund nicht einreisen kann.“

Im Auswärtigen Amt, heißt es, „erkennt man den ersten Posten eines Diplomaten an der Nationalität seines Partners“. Heteros wie Homos lernen meist bei ihrem ersten Auslandseinsatz den Mann, die Frau kennen, mit dem oder der sie auch zusammenbleiben. Doch während Heteros sich mit einer Heirat leichter über Visumschwierigkeiten für nichtdeutsche Partner hinwegsetzen können, bleibt für die Homos nur die Verpartnerung – und die muss das Gastland nicht anerkennen.

Eigentlich bedienen die klassischen Anforderungen an den Diplomaten ja die schwulen Stereotpye: Vollendete Form, Sicherheit in Sprache und Auftreten und ein wenig Glamour gehören dazu. Doch die Diplomatie ist auch eben klassisch zurückhaltend, und so spricht niemand über eventuelle Skandale. Bei einem Homosexuellenanteil von schätzungsweise fünf Prozent in Deutschland wundert es, dass es heute keinen offen schwulen Botschafter gibt. Andreas G. weicht der Frage mit einem Lächeln aus: „Oh, dünnes Eis. Es gibt sicher Berufe, in denen man nicht so häufig gefragt wird, warum man immer noch nicht verheiratet ist.“

Eine offen lesbische Botschafterin übrigens gibt es auch nicht. „Irgendwie fahren die Frauen da noch sehr im Fahrwasser der Männer“, resümiert Andreas G.. Gut findet er das nicht, aber mit Einschränkungen gilt auch im Auswärtigen Amt mit seinem hohen Männeranteil: „It’s a man’s world.“

JUDITH LUIG, 29, ist taz.mag-Redakteurin. Für die Zukunft wünscht sie sich Coming-out- Gruppen auch für Heterosexuelle