: Coming Autsch!
Editorial
Wie sieht es aus, das gesellschaftliche Verhältnis von Homos und Heteros im Jahr 2004, 35 Jahre nach Stonewall und dem Beginn der neuen Homosexuellenbewegung? Nicht so schlecht, möchte man meinen. In den beiden größten deutschen Städten regieren Bürgermeister, deren Homosexualität inzwischen für keine nennenswerten Kontroversen mehr sorgt. Auch der Kulturkampf um die so genannte Homoehe ist – der Blockadepolitik der Unionsfraktion zum Trotz – ausgeblieben. Deutschland ist reif für eine zumindest symbolische Gleichstellung hetero- und homosexueller Lebensgemeinschaften. Auch wenn sich der Eindruck nicht von der Hand weisen lässt, dass diese Gleichstellung dem politischen Willen zufolge nur so weit gehen darf, wie sie keine monetäre Gleichstellung und das Adoptionsrecht beinhaltet.
Man wähnt sich auf einem guten Weg. Umso irritierender wirken die Nachrichtenbilder der vergangenen Wochen: In den USA reagiert Präsident Bush auf die Massenheirat lesbischer und schwuler Paare mit der Ankündigung, die Ehe per Verfassungsänderung zu einem Exklusivvertrag zwischen Mann und Frau erklären zu lassen; vor einem südfranzösischen Rathaus demonstrieren aufgebrachte Westeuropäer gegen die Trauung eines schwulen Paares durch den grünen Bürgermeister. Auf einmal sind die Szenen vom ach so fernen Balkan, auf dem CSD-Paraden unter Polizeischutz stattfinden müssen, nicht mehr ganz so fern.
Ausgerechnet die Homoehe, von einigen Veteranen der Homobewegung nach wie vor als spießiger Anachronismus beschrien, sorgt für neuen Zündstoff. Der schrille Exot auf der CSD-Parade ist manchem offenbar lieber als das als schwul identifizierbare Paar in der Nachbarschaft. Wie viel Normalität dürfen Nichtheterosexuelle für sich in Anspruch nehmen? Wie schmerzhaft ist noch immer ein Coming-out?
Das csd.mag in der taz, traditionell zum Berliner Motzstraßenfest: Wir sprechen mit Gerhard Hoffmann, dem Sprecher des schwul-lesbischen Straßenfestes über die verflogene Müdigkeit der CSD-Umzüge, wir berichten über die junge Homobewegung in Kroatiens Hauptstadt Zagreb, stellen zwei neue Bücher über lesbische Utopien und multikulturelle Realitäten vor, beobachten, wie schwule US-Republikaner auf Präsident Bushs reaktionäre Homopolitik reagieren, und wir nehmen einen Berufsstand unter die Lupe, der sich der Diskretion verschrieben hat und deshalb ganz eigene Erfahrungen mit Unaussprechbarkeiten gemacht hat: das diplomatische Corps. RKR