: Gewerbe mit Schein
Seit dem 1. Mai könnten Frauen aus weiten Teilen des osteuropäischen Raums legal ihre Sex-Dienste anbieten. Das Thema Frauenhandel hat sich mit der EU-Erweiterung aber nicht erledigt
von Kai von Appen
Es ist ein heißer Frühlingsabend. Der ältere Herr im Nadelstreifenanzug ist bereits in einem Zimmer verschwunden, ein zweiter, jüngerer, hat das Etablissement in Hamburgs Osten gerade betreten, und in einem kleinen Nebenraum legen Estefania* (21) und Tatjana*( 23) letzte Hand an ihr Outfit. Mit einer Polizeiaktion so kurz vor dem 1. Mai, dem EU-Beitritt unter anderem von Estland und Polen, rechnet von den Bordellbetreibern eigentlich niemand, auch wenn Estefania noch immer einen Aufpasser an ihrer Seite hat.
Plötzlich kracht es doch an der Tür. Stark bewaffnete PolizistInnen stürmen die Wohnung. Während Estefania die Razzia als „Befreiung“ empfindet, versucht Tatjana über das Dach zu fliehen und kann von der Feuerwehr gerade noch vor dem endgültigen Absturz bewahrt werden. Ein willkürlicher polizeilicher Paukenschlag, um vor der EU-Erweiterung noch mal die osteuropäische Sexarbeiterinnen-Szene aufzumischen?
„Solche Aktionen richten sich nicht gegen die Frauen, sondern gegen die Menschenhändler“, beteuert ein Fahnder des Sittendezernats gegenüber der taz hamburg. „Die Prostituierten haben wir dabei gar nicht im Visier.“ Und auch Polizeisprecherin Chistiane Leven betont die Redlichkeit des staatlichen Handelns. „Derartige Maßnahmen zielen auf die kriminellen Hintermänner des Frauenhandels.“
In der Tat trifft es bei dieser Polizeiaktion im April zwei ganz unterschiedliche Schicksale. Estefania kommt aus Estland und ist nicht freiwillig im Gewerbe. Mit der Aussicht auf einen gut dotierten Job als Kellnerin in einem Restaurant wurde sie von dem sprichwörtlichen guten Freund nach Hamburg gelockt. Da behördlich alles nicht so schnell zu regeln sei, sollte sie ihm 5.000 Euro Provision als Kaution für falsche Papiere zahlen. Als Estefania in Hamburg ankommt, nimmt ihr der Mann den Pass weg, verprügelt sie, sperrt sie ein und zwingt sie zur Prostitution.
Anders bei Tatjana. Die junge Polin hatte sich bereits in ihrer Heimat mit der Prostitution als Einnahmequelle abgefunden. Als ihr ein Bekannter versprach, sie im Hamburger Rotlicht-Milieu unterzubringen, wo die Verdienstchancen zehnmal so hoch seien, ließ sie sich darauf ein. Gegen Zahlung von 3.000 Euro verschaffte er ihr falsche Papiere. Seitdem arbeitet sie als Prostituierte an der Elbe.
Demnächst vielleicht legal. „Für Migrantinnen hat sich die Ausgangssituation seit dem 1. Mai wirklich verbessert“, sagt eine Mitarbeiterin der Koordinierungsgruppe Frauenhandel, Koofra. Und auch Emilja Mitrovic von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die die Situation der Prostitution nach der offiziellen Legalisierung vor zwei Jahren für die Gewerkschaft ver.di untersucht hat, glaubt an Verbesserungen. „Zumindest die Frauen aus den neuen EU-Staaten, die offiziell ihr Gewerbe anmelden und als Dienstleisterinnen tätig werden, haben jetzt einen legalen Status.“ Ob diese Möglichkeit der Gewerbeanmeldung tatsächlich genutzt wird, darüber herrscht zurzeit Unklarheit. „Das zu beurteilen, dafür ist es noch zu früh“, sagt Polizeisprecherin Leven. Und auch ein Sittenfahnder aus dem Landeskriminalamt äußert sich verhalten. „Das lässt sich über den kurzen Zeitraum noch nicht absehen.“
Sicher ist für die Fachleute indessen eines: Das Thema Frauenhandel hat nicht erledigt. „Das wird sich weiter Richtung Osten verlagern“, befürchtet Peter Bremme, ver.di-Experte aus dem Fachbereich „Besondere Dienstleistungen“. Denn Russland ist von den neuen Regelungen nicht betroffen. Und auch aus Polizeikreisen klingt es durch. „Auch in China gibt es Frauen, die für den westlichen Markt attraktiv sind und durchaus skrupellosen Menschenhändlern auf dem Leim gehen könnten.“
*Namen geändert