: Milena macht Mathe
Rechnen und Geometrie mal anders: Beim Bremer Zahlensommer stromern Kids durchs Museum und merken, wieviel Mathe in den alten Schinken steckt. Die Nachfrage nach Workshops ist enorm
Neulich in der Bremer Kunsthalle: Milena, acht Jahre alt, kauert vor dem meterhohen Gemälde „Camille Doncieux“ von Claude Monet. Schnell und konzentriert zeichnet das Mädchen geometrische Formen auf das vor ihr liegende Blatt. Eine kleine Künstlerin? Nein, Milena macht Mathe. Aber dieses Mal ganz anders als in der Schule.
Acht und acht zusammenzählen und ein gleichschenkliges Dreieck ins Schulheft malen ist nämlich nicht halb so aufregend wie eine geometrische Erkundungsreise durch ein altes Ölbild. Aus wievielen Dreiecken besteht ein Gesicht, wieviele Farben hat ein Schatten? Damit Mathematik etwas mit dem sinnlichen Leben zu tun bekommt, haben die Uni Bremen, das Landesinstitut für Schule und die Kunsthalle Bremen den Bremer Zahlensommer veranstaltet. Da entdeckten Kinder von fünf bis elf Jahren vergangene Woche in mehr als zehn verschiedenen Workshops, dass Mathe anschaulich, konkret und spannend sein kann. Und dass Zahlen nur ein kleiner Teil der großen weiten Mathe-Welt sind.
„Die Nachfrage war riesig“, sagt Nicole Bonger-Wedekämper vom Fachbereich Mathematikdidaktik, „350 Kinder wollten mitmachen, aber wir hatten nur 160 Plätze.“ Sie hofft, dass der Zahlensommer nächstes Jahr erneut stattfinden kann. In den diesjährigen Workshops ging es etwa um Zahlenmuster, um Faltfiguren, um Erdkugelberechnungen und eben: um Kunst.
„Einstein im Bild“ ist der Titel des Museums-Workshops. Die Zahlensommer-Kids in der Kunsthalle haben weiße Gaze-Overalls mit Kapuzen an und sehen darin aus wie kleine Polizei-Ermittler. Tatsächlich forschen die Kinder – sozusagen nach den Spuren der Mathematik im Bild. Zunächst mal hat jedes Kind einen Forschernamen für sich selbst ausgedacht: Michel nennt sich Dr. Einschwein, Caspar ist Professor Fetzenratte aus Hongkong. Und alle haben ein eigenes Forschungstagebuch, in dem sie wichtige Erkenntnisse festhalten. Die wichtigste Erkenntnis wird aber wohl nicht in den Büchern stehen: Mathe in der Kunst, das kann viel aufregender sein als „Malen nach Zahlen“: Ganz ohne Rechenqual und Ziffernakrobatik lernen die Kinder beim Bilder-Gucken, aus welchen Grundformen sich Figuren und Körper ableiten.
Am ersten Tag haben die Zahlen-Kids eine Bestandsaufnahme gemacht. „Wir sind durch die Kunsthalle gegangen und haben geguckt, welche Bilder was mit Mathe zu tun haben“, erzählt Helen: „Eigentlich alle Bilder, aber manche halt besonders viel.“ In Häusern, Mäusen, Blumen und Tellern stecken Kreise, Rechtecke und Quadrate. „Die Formen, die wir entdeckt haben, haben wir selbst in ein Bild gemalt“ erzählt Elard, neun Jahre alt. Er hat ein „dreidimensionales Viereck“ gezeichnet, in dem er dann viele kleinere Vierecke unterbringen konnte.
Heute nun sucht sich jedes Kind ein Bild aus und zeichnet die geometrischen Formen ab. Elard hat sich das expressionistische und entsprechend formenreiche Werk „Blaugrüner Schrei“ (Johannes Itten, 1917) ausgesucht. Pädagogin Hannah Linke zeigt vor einem Frauenporträt, was Mathe mit Gesichtern zu tun hat: „Guckt doch mal die Nase der Frau an“, erklärt sie. „Die ist zwar kein richtiges Dreieck. Aber ihr könnt sie als Dreieck zeichnen!“ Ganz nebenbei lernen die Kinder so vielleicht mehr über Mathematik, als sonst in einer Woche Unterricht. Zumal es nicht grade Mathe-Freaks sind, die an dem Kunsthallen-Workshop teilnehmen. Mag zum Beispiel Lea Mathe? „Nee. Nicht.“ Helen findet Rechnen in der Klasse „sehr langweilig“. Und auch Caspar macht in der Schule „nicht so gerne“ Mathe.
Und was war das Beste am Kunsthallen-Zahlensommer? „Bilder angucken macht am meisten Spaß“, finden Keena und Johanna. Und Helen? „Das hier“, sagt sie und deutet auf ihre eigene Zeichnung.
Keenas, Johannas und Helens Bilder kann man sich übrigens angucken. Denn die Kunsthalle zeigt die Ergebnisse aller zwölf Mathe-Workshops in einer Ausstellung, die noch bis zum 27. Juli geöffnet ist. Zu hoffen wäre, dass viele Mathe-Lehrer sich die Ausstellung ansehen und sich für ihren eigenen Unterricht etwas abgucken.
Katharina Müller